Eine Grossrätin wird Mutter. Während ihres Mutterschaftsurlaubs darf sie nicht an Parlamentssitzungen teilnehmen, da sonst die Versicherung nicht mehr zahlt. Und auch wer länger krank ist, kann quasi unverschuldet sein Amt nicht ausfüllen.
Für solche Situationen soll im Aargau deshalb neu eine Stellvertretungslösung möglich sein, bei Mutterschaft, Krankheit oder Unfall. Die Regierung und praktisch alle Parteien stehen hinter dieser Idee.
Die neue Regelung gilt für das Kantonsparlament, den Grossen Rat. Grössere Gemeinden, welche ebenfalls ein Parlament haben, dürften selbst entscheiden, ob sie ebenfalls Stellvertretungen möglich machen wollen.
Wichtig für die Demokratie oder überflüssiger Aufwand?
Eingebracht hatten das Anliegen die Grünen. Ihr Argument: Das Volk habe das Recht, dass im Parlament immer alle Bevölkerungsgruppen vertreten, also möglichst alle Sitze besetzt sind. Das sei aktuell nicht gewährleistet.
«Der Auslöser war eine grüne Grossrätin, die schwanger wurde. Sie hat ihr Amt abgelegt, weil sie den Sitz nicht so lange unbesetzt lassen wollte», erklärt Grossrat Andreas Fischer.
Es gab immer wieder sehr knappe Abstimmungen.
Im Aargauer Parlament dominieren bürgerliche Parteien, aber bei einzelnen Fragen sind die Mehrheitsverhältnisse knapp. «Es gab mehrere Abstimmungen mit 70 gegen 70 Stimmen und Stichentscheid des Präsidiums», erinnert Andreas Fischer. Kurz: Demokratie funktioniert für ihn nur, wenn möglichst alle anwesend sind.
Nationale Regelung für werdende Mütter?
Die Verfassungsänderung sei überflüssig, findet hingegen Petra Kuster von der SVP. Sie hofft, dass Bundesbern das Problem zumindest teilweise löst. Aktuell wird nämlich darüber diskutiert, ob Frauen weiterhin politisch tätig sein dürfen, auch wenn sie gerade Gelder der Mutterschaftsversicherung erhalten. Bisher gilt Politik als Arbeit.
Im Aargau würden aber eben nicht nur Mütter, sondern auch kranke und verunfallte Politikerinnen und Politiker von einer Stellvertretung profitieren, moniert Fischer. Das sei gar nicht nötig, sagt Petra Kuster.
Die politische Arbeit werde hauptsächlich in den Parlamentskommissionen geleistet. Dort könne man abwesende Mitglieder schon heute ersetzen, mit anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament. Zudem sei die Einarbeitung von neuen, nur temporär tätigen Politikerinnen zu aufwändig.
Alle Eventualitäten im Leben lassen sich nicht ausschliesen.
Die SVP-Politikerin argumentiert noch grundsätzlicher: «Alle Eventualitäten im Leben lassen sich nicht ausschliessen. Stellvertretungen bei Unfällen, Krankheit, Militär – das ist am Ziel vorbeigeschossen.»
Im Parlament gab und gibt die Regelung also zu reden. Die Vorlage wurde im Grossen Rat mit 80 zu 51 Stimmen gutgeheissen. Das Stimmvolk hingegen scheint sich kaum zu interessieren. Einen Abstimmungskampf gibt es nicht. Kuster und Fischer gehen beide davon aus, dass die Vorlage wohl angenommen wird.