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Abstimmungstext ohne Kernwort Ungenaue Texte auf Abstimmungszetteln: Ist das erlaubt?

Fünf Vorlagen, fünf teilweise komplexe Themen. Doch wo ist der Vaterschaftsurlaub? Wo die Kinderabzüge? Auf dem Stimmzettel der Abstimmung vom 27. September sucht man das Wort «Vaterschaftsurlaub» vergebens. Und bei den Kinderabzügen ist nur von den «Drittbetreuungskosten» die Rede, um die es in dieser Vorlage nur noch am Rande geht.

Erst im Abstimmungsbüchlein steht: «Das Parlament hat zudem beschlossen, den allgemeinen Kinderabzug bei der direkten Bundessteuer von 6500 auf 10'000 Franken pro Kind zu erhöhen.» Das ist problematisch, sagen nicht nur die Gegner der Vorlage. Denn es berührt letztlich die freie Meinungsbildung der Stimmbürger.

Es ist ganz klar irreführend.
Autor: Prisca Birrer-Heimo Nationalrätin SP

«Es ist nicht nur unschön. Sondern die Wahl- und Abstimmungsfreiheit, das ist ein Grundrecht der Bundesverfassung, garantiert jedem Stimmbürger, jeder Stimmbürgerin, dass sie ihren Willen im Hinblick auf die Abstimmung frei und unverzerrt bilden kann», erklärt Markus Schefer, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Basel. Dieser Aspekt werde durch eine derartige Abstimmungsfrage tangiert, so Schefer weiter.

Niemandem ist es aufgefallen

Beschlossen hat den Titel der Vorlage das Parlament. Doch weder der einen noch der anderen Seite war in der Debatte aufgefallen, dass der Titel nicht mehr mit dem Inhalt übereinstimmt.

«Es ist ganz klar irreführend», sagt auch SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo. «Es ist eigentlich von dem, was drauf steht, praktisch nichts mehr drin. Die ursprüngliche Vorlage mit dem Abzug der Kinderdrittbetreuungskosten, das macht jetzt etwa noch 2.6 Prozent aus. Und über 97 Prozent sind etwas anderes. Das heisst, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bekommen nicht das, was eigentlich draufsteht.»

Keine rechtlichen Folgen

CVP-Nationalrat Philipp Kutter stimmt zu: «Es ist auch aus meiner Sicht bedauerlich, dass der Titel der Vorlage nicht genau das wiedergibt, was in der Vorlage drin ist.» Leider komme das hin und wieder vor. Auch die Vorlage zum Vaterschaftsurlaub enthalte das Wort «Vaterschaftsurlaub» nicht.

Tatsächlich: nicht nur Frage drei ist unklar. Bei Frage vier fehlt das Wort Vaterschaftsurlaub, um den es geht. Rechtliche Folgen wird es keine haben. Die Beschwerdefristen dafür sind bereits abgelaufen.

Tagesschau, 12.09.2020; 19:30 Uhr

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