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Pflanzenzucht 4.0 Ohne Digitalisierung wächst kein Kraut mehr

Während der Gartensaison stehen immer genug Blumen und Pflanzen bereit. Das geht nur mit digitaler Anbau-Logistik.

«Wir machen das Geschäft in den Monaten März, April und Mai», erklärt Bruno Rutishauser, Chef der gleichnamigen Grossgärtnerei in Züberwangen bei Wil (SG). In Gewächshäusern auf einer Fläche von fast sieben Fussballfeldern (45’000 Quadratmeter) werden aus Setzlingen und Zwiebeln erwachsene Pflanzen.

Die Herausforderung: Jeden Tag müssen genau so viele Pflanzen das ideale Wachstumsstadium erreicht haben, wie von den Geschäften schweizweit bestellt werden für den nächsten Verkaufstag. Es sind tausende. Das gelingt nur mit ausgefeilter digitaler Logistik, einem «Internet der Blumen».

Und das funktioniert so: Alle Gewächshäuser sind untereinander verbunden mit einem Netzwerk aus Schienen, darauf Wagen mit Blumen. Die Anlage erinnert an Gepäcktransportsysteme von Flughäfen.

«Kulturtische» heissen diese Wagen in der Fachsprache. Sie sind ein paar Quadratmeter gross und bieten Platz für hunderte Töpfe mit Pflanzen. Ein Bewässerungs-Roboter aufgehängt an Schienen am Dach merkt, wo es zu wenig Wasser hat. Dann flutet er den entsprechenden Tisch.

Automatisch auf dem besten Weg von A nach B

Die Kulturtische im «Internet der Blumen» werden immer an jenen Ort bewegt, der die besten Bedingungen für die jeweilige Wachstumsphase bietet: Zur Aufzucht zuerst in ein Gewächshaus, das das Wachstum fördert, wenn sie grösser sind in eine Halle, wo das Klima das Wachstum bremst und schliesslich in eine Halle, wo die Blumen für den Transport vorbereitet werden.

Den Transport übernehmen «Shuttles», Wagen, die den Tisch von unten etwas anheben und ihn dann an wegbringen. Sie fahren selbständig ans Ziel und nehmen dabei den optimalen Weg – wie Datenpakete im Internet. Die Steuerung übernimmt ein Computer, der die Rolle des Routers im «Internet der Blumen» spielt. Wenn nötig, kann ein Mitarbeiter aber die Shuttles auch mit einem Tablet von Hand steuern.

Um die riesige Fläche, die eine Gärtnerei benötigt optimal zu nutzen, braucht es modernste Technik, denn nur während der Wachstumsphase entsteht eine Wertschöpfung. Eigentlich sei das ganze ein horizontales Hochregallager, sagt Bruno Rutishauser.

Für ihn ist die Rechnung einfach: «Je schneller wir die Flächen bewirtschaften können, desto höher ist die Wertschöpfung.»

Viel Druck aus dem Ausland

Eine hohe Automatisierung sei deshalb unabdingbar, nur so sei man gerade noch wettbewerbsfähig mit den Blumenfabrikanten im Ausland. Die gehen zum Teil mit der Automatisierung noch wesentlich weiter. Rund 90% der Schnittblumen in der Schweiz werden importiert.

Preislich kann es eine Schweizer Gärtnerei mit den Grossen nicht aufnehmen, umso wichtiger sind andere Qualitäten wie etwa die Fähigkeit, auf extreme Schwankungen in Angebot und Nachfrage flexibel zu reagieren: «Wenn der Markt sofort 50’000 Primeli braucht, können wir liefern», erklärt Bruno Rutishauser.

Möglich ist das dank dem «Internet der Blumen».

Digitalisierung: Gartenbau hinkt hinterher

Box aufklappen Box zuklappen

Die Produktion von Pflanzen ist hoch digitalisiert, im Gartenbau sieht es anders aus. «Wir sind in der Steinzeit!» stellt Raphael Erl fest, Geschäftsführer der Gärtnerei Spross Zürich. BIM – Building Information Modelling – heisst das Stichwort, mit dem sich die Gartenbaubranche in den nächsten Jahren auseinandersetzen muss, um in Zukunft noch attraktiv zu sein für Auftraggeber. Vor allem für Projekte im öffentlichen Bereich: Der Aktionsplan «Digitale Schweiz» sieht nämlich vor, dass der Bund und alle bundesnahen Betriebe (inkl. SBB) ab 2021 für Immobilien und ab 2025 für Infrastrukturanlagen die BIM Methode verpflichtend anwenden. Das könnte grosse Signalwirkung haben alle grossen Bauprojekte und mittelfristig auch für private Bauherren.

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