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Andrang auf Sennenjobs Wenn plötzlich tausende Marokkaner z'Alp wollen

Die oft jungen Männer bewerben sich auf einer Online-Stellenbörse – ohne Chancen auf Erfolg. Schuld sind Youtube-Videos.

Giorgio Hösli meldet sich von der Intschi-Alp oberhalb von Gurtnellen (UR). Z'Alp geht er schon seit fast 18 Jahren. Das Portal zalp.ch, das Hösli betreibt, ist eine Internet-Site für Älplerinnen und Älpler inklusive Stellenportal. Doch seit Januar wird er geradezu überhäuft von Bewerbungen aus Marokko.

Denn in den sozialen Medien kursieren Gerüchte, dass in der Schweiz Älplerinnen und Älpler gesucht würden. Und das zu einem Lohn, der in Marokko sechsmal so hoch ist wie das Durchschnittseinkommen. Ein verlockendes Angebot.

Mann mit Kuh
Legende: Sommereinsätze auf einer Schweizer Alp sind beliebt – neu auch bei jungen Marokkanern. Keystone

Auf Youtube finden sich akribische Anleitungen, wie man sich auf zalp.ch auf eine Stelle als Senn bewirbt. Und seitdem melden sich pro Tag 200 junge Männer aus Marokko. Aber auch die Bergeinsätze der Caritas oder die Einsätze von Jugendlichen bei Bauern von Agriviva erhalten vermehrt Anfragen aus Marokko.

Vergebliche Bewerbungen

Und dies, obwohl allen klar ist, dass junge Männer aus Marokko keine Arbeitsbewilligung als Senn in der Schweiz erhalten. Marokko gehört nicht zur EU und den Efta-Staaten, daher gibt es Visa nur für Hochqualifizierte.

Weiterführende Links

Die Videos und Anleitungen beruhen auf Hörensagen. Gerüchte, die am Schluss nicht der Wahrheit entsprechen, aber dennoch Hoffnung auslösen können. Eine Hoffnung, die schliesslich von Hösli wieder zerstört werden muss, jedes Mal: «Es ist mir auch klar, dass sie aus ihrem Land wollen, weil sie dort keine Perspektive mehr haben. Ich würde wahrscheinlich auch woanders hingehen.»

Ein Dilemma, das seine Berufsgattung allein nicht lösen kann. Ein Dilemma, das die Urner Alpen kurzzeitig mit dem marokkanischen Rifgebirge verbindet und dann gleich wieder trennt.

«Sie sagen sich: Wenn ich hierbleibe, habe ich schon verloren»

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Daniel Voll
Legende: SRF

In Marokko liegt die Arbeitslosigkeit bei den Jungen bei 40 Prozent. Die soziale Misere sei gross, sagt Daniel Voll.

SRF News: Warum wollen so viele Marokkaner auf einer Alp arbeiten?

Daniel Voll: Es ist ein sehr attraktives Angebot, wenn ich Versprechungen eines gesicherten Lohns von 3000 Franken im Monat höre. Im marokkanischen Hinterland hat ein Bauer ein Einkommen von 120 Franken, wenn er überhaupt Arbeit findet. Dann ist das natürlich ein Werbespot. In Marokko liegt die Arbeitslosigkeit offiziell über alle Generationen bei zehn Prozent. Aber bei den Jungen unter 24 Jahren liegt sie bei 40 Prozent.

Bei den vielen Bewerbungen handelt es sich vor allem um Junge aus ländlichen Gebieten, zum Beispiel aus dem Rifgebirge im Norden des Landes. Warum genau von dort?

Das Rif ist eine Region, wo sich die Probleme von Marokko konzentrieren. Es ist eine rein ländliche, strukturschwache Region. Das Gesundheitswesen, aber auch das Bildungssystem ist deutlich schlechter ausgebaut als in anderen Provinzen. Die Arbeitslosigkeit ist höher als im Landesdurchschnitt.

Offiziell lebt ein Drittel der Bevölkerung in Marokko von der Schattenwirtschaft. Tatsächlich dürften es aber deutlich mehr sein, da die Leute aus der Landwirtschaft nicht mitgezählt werden. Ende 2016 ist im Rif ein sozialer Aufstand ausgebrochen, der Staat hat mit harter Hand durchgegriffen und kontrolliert die Region militärisch sehr stark. Aber die soziale Misere ist seither noch grösser geworden; junge Menschen haben wenig Perspektiven hier.

Löhne, wie es sie in der Schweiz gibt, befeuern den Traum von Europa. Gibt es diesen nach wie vor, wenn auch klar ist, dass es keine legale Aufenthaltsbewilligung gibt?

Ja, das ist klar. Selbst wenn die Menschen wissen, dass auswandern schwierig ist, sagen sie sich: Wenn ich hierbleibe, habe ich schon verloren.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

HeuteMorgen, 12.06.2020, 06:00 Uhr

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