Auf nach Europa! So galt über Jahrzehnte der Ruf der nordischen Staaten. Vor bald zwanzig Jahren orientierten sich Schweden und Finnland nach Süden und folgten dem dänischen Nachbarn in die Europäische Union – Norwegen und Island wurden Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraumes.
Einzig die beiden nordischen Minivölker in Grönland und den Färöer blieben aussen vor. Nun führt aber das arktische Tauwetter zu einer Überprüfung dieser ganz nach Europa ausgerichteten aussenpolitischen Strategie. Angeführt vom aufstrebenden Öl- und Gasstaat Norwegen orientieren sich die Nordländer immer mehr um, von Süd nach Nord – und von Brüssel hin zur Arktis.
Arktischer Rat als Pendant zum Antarktis-Vetrag
In der nordnorwegischen Universitätsstadt Tromsö befindet sich seit dem letzten Jahr der Sitz des Arktischen Rates, einer Art Nordpol-EU, der neben den nordischen Staaten auch die USA, Kanada und Russland angehören. Mit dem arktischen Rat ist eine politische Plattform geschaffen worden, in deren Rahmen die Anrainerstaaten ihre Interessen vertreten können.
Die Zusammenarbeit am Nordpol unterscheidet sich somit vom Südpol, wo die verschiedenen Ansprüche vor 60 Jahren im Rahmen eines fixen rechtlichen Rahmens, dem Antarktis-Vertrag, geregelt wurden. Norwegen hat kürzlich – nach einem über 40 Jahre dauernden Streit – seine Grenze zu Russland im Nordmeer definiert und damit eine wichtige Konfliktlinie eliminieren können.
Randregionen plötzlich wieder interessant
Mit der strategischen Neuorientierung nach Norden rücken nun Europas einstige Randregionen ins Interesse der grossen Weltpolitik: Es geht um Rohstoffe, es geht um Transportwege und es geht um politischen Einfluss.
Die Regierenden in den nordischen Hauptstädten möchten dies nutzen. Sie sehen sich als ökologische und demokratische Gegengewichte zu den benachbarten Grossmächten rund um den Nordpol – von Reykjavik bis Helsinki, von Kopenhagen bis nach Stockholm heisst es nun: auf nach Norden!