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Autorin der Bieler Präambel «Im besten Fall überlebt mich dieser Text»

Die freie Journalistin Vera Urweider gewann einen Schreibwettbewerb und durfte die Präambel der neuen Bieler Stadtordnung schreiben. Ihr Text bewegt in Biel: Es gab viel Lob und viel Kritik.

Vera Urweider

Freie Journalistin

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Die 33-Jährige ist in Biel aufgewachsen und hat in Hamburg an der Henri-Nannen-Schule Journalismus studiert. Heute arbeitet sie als freie Journalistin für verschiedene Medien.

SRF News: Sie haben auf den letzten Drücker bei diesem Schreibwettbewerb mitgemacht. Warum?

Vera Urweider: Ich hatte mich lange gefragt, ob ich so eine Präambel überhaupt schreiben kann. Am letzten Abend vor dem Eingabeschluss war ich bei meinen Eltern zum Nachtessen eingeladen.

Ich verzichtete auf das Dessert und schrieb den Text.

Meine Mutter fragte mich, ob ich nun mitgemacht hätte. Ich verzichtete auf das Dessert, ging heim und nutzte die letzten zwei Stunden der Eingabefrist und schrieb den Text, der nun die Präambel der Bieler Stadtordnung wird.

23 Texte wurden eingereicht. Hätten Sie mit einem Sieg gerechnet?

Überhaupt nicht. Das war wohl auch der Grund, warum ich auf den letzten Drücker mitgemacht habe. Ich hatte lange das Gefühl, dass ich da nicht mitreden kann. Als mir mitgeteilt wurde, dass ich gewonnen habe, konnte ich es gar nicht wirklich fassen.

Wann haben Sie es realisiert?

Das war eigentlich erst eine Woche später am Tag nach der Preisverleihung, als die unzähligen Gratulationen hereinkamen und mein Handy pausenlos vibrierte. Da lag ich auf mein Bett und hatte einen Heulkrampf.

Weil alles zu viel wurde?

Wahrscheinlich. Ich arbeite sehr viel mit relativ wenig Anerkennung. Es war wohl eine tiefe Erleichterung, dass ich nun endlich gelesen werde.

Schauen wir uns diese Präambel genauer an. Bitte reagieren Sie kurz auf die einzelnen Abschnitte:

«Wir teilen uns ein Leben zwischen Deutsch und Französisch, zwischen Jura und See, zwischen Ordnung und Gelassenheit, zwischen Kultur und Sport, zwischen Bildung und Aufbruch.»

Hier geht es um das Offensichtliche, was man auch von aussen sieht.

«Wir teilen uns ein Leben in einer multikulturellen Stadt, in einer solidarischen Stadt, in einer toleranten Stadt, in einer visionären Stadt, in einer offenen Stadt, in einer grünen Stadt.»

Hier ist teilweise bereits eine Vision drin, ein Wunschdenken.

«Eine Stadt, die in ihrer Art, Grösse und Mehrsprachigkeit Verantwortung trägt. Eine Stadt, die nicht Hauptstadt sein muss und deshalb Narrenfreiheit geniesst.»

Der Punkt mit der Narrenfreiheit wurde schwer diskutiert. Hier geht es sicher nicht um die Fasnacht. Biel macht für mich genau das aus: Wir haben eine gewisse Grösse und eine Verantwortung aber wir haben auch ein Schattendasein, was auch positiv sein kann.

«Um kreativ, mutig, lebendig zu sein, um auszuprobieren, Perspektiven zu schaffen, scheitern zu dürfen.»

Durch dieses Schattendasein haben wir Freiheiten, dürfen ausprobieren und können mutig sein.

«Um aufzustehen, zusammenzustehen, gemeinsam auch Nein zu sagen – für eine sorgsame Zukunft.»

Dieses Nein wurde heftig diskutiert. Manche haben Angst vor einem Nein. Ich finde, dort braucht es ein Nein. Ein Ja wäre zu kitschig. Und hinter jedem Nein gibt es immer auch ein Ja für etwas anderes.

«Biel muss nicht. Biel darf, kann und soll.»

Wenn ich etwas muss, dann bin ich viel weniger motiviert. Aber eine eigene Energie kommt immer dann, wenn ich etwas machen darf.

Gab es neben der Kritik einzelner Passagen im Stadtrat auch Reaktionen aus der Bevölkerung?

Es kommen noch heute fast täglich fremde Menschen auf mich zu und sagen, mein Text spreche ihnen aus dem Herzen.

Ist das Ihr nachhaltigster Text?

Wenn die neue Stadtordnung im Mai vom Bieler Stimmvolk angenommen wird, dann steht meine Präambel ab 2021 dort drin. Und zwar für lange Zeit – im besten Fall überlebt mich dieser Text.

Das Gespräch führte Matthias von Wartburg.

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