Die erste Nacht draussen verbrachte der mittlerweile 62-jährige Rolf Mauti im Badischen Bahnhof – auf dem Boden. Er habe dort andere Obdachlose getroffen und sich zu ihnen gesellt. Am nächsten Morgen habe ihm einer gesagt, er solle mitkommen zur Gassenküche und einen warmen Café trinken. Mauti, neu auf der Strasse als Obdachloser, kannte die Gassenküche nicht. Er verwechselte sie zuerst mit dem Gassenzimmer, also der Kontakt- und Anlaufstelle für Drogensüchtige; und wollte nicht mitgehen. Doch die Gassenküche sollte in den kommenden vier Jahren ein wichtiger Ort für ihn werden, seine Stube sozusagen. Denn in der Gassenküche gibt es Essen und Trinken – auch für solche, die kaum Geld haben.
Zwischen Bahnhof, Abbruchhäusern und Flughafen
Seit dem Verlust der Wohnung habe er viele Nächte im Badischen Bahnhof verbracht. Im Gang zwischen Schalterhalle und Zoll oder auf dem Perron im Wartehäuschen. Auch auf dem Flughafen und dem Französischen Bahnhof habe er oft übernachtet, ebenso wie in Pärken, unter Brücken, auf Baustellen, in leeren Abbruchhäusern oder nahe der Lüftung von Parkhäusern. Wenn es im Winter besonders kalt gewesen sei, habe er vor dem Einschlafen Kartons gesammelt, um sich gegen die Kälte zu schützen. «Wer einen Schlafsack hat, braucht sowieso fast nichts», sagt Mauti. Er selbst hatte keinen Schlafsack. «Ich wollte nicht, dass andere tagsüber sehen, dass ich obdachlos bin.» Und so habe er stets nur wenige Sachen bei sich gehabt.
Für Obdachlose ist das U-Abo eine Art Wellness-Abo
Von 2009 bis 2013 hatte Mauti kein Dach über dem Kopf; und auch kein eigenes Bett. Nachts sei er draussen immer wieder von Polizisten weggewiesen worden, erzählt Mauti. «Manchmal sogar drei oder vier Mal pro Nacht.»
Wellness-Abo für Obdachlose
Nach solchen Nächten habe es für ihn oft nur einen Ausweg gegeben: Zug fahren. Im Zug habe er «auftanken» können, sagt Mauti. «Nach 4 Stunden Zugfahrt ist man entspannt und fit für den Tag.» Dies nicht zuletzt, weil man im Zug warm hat, sich nicht für seinen Aufenthalt rechtfertigen müsse und weil man auch schlafen könne, wenn es denn sein müsse. Mauti hat sich deshalb jeden Monat das Umweltabonnement geleistet. Es sei eine Art «Wellnessabo» für Obdachlose.
Ein weiterer – wichtiger – Punkt, der für das Umweltabo spreche: Im Bahnhof könne man weggewiesen werden, wenn man keinen Grund habe, sich dort aufzuhalten. Habe man aber ein Umweltabonnement und damit ein Ticket im Sack, habe man auch einen Grund, am Bahnhof zu schlafen und auf den Zug zu warten, sagt Mauti. «Man wird nichtweggewiesen.»
Besonders gelitten habe er während der Zeit auf der Strasse unter der nicht vorhandenen Privatsphäre. «Ein guter Schlafplatz ist stets einer, wo man etwas windgeschützt ist und von andern nicht gesehen wird», sagt er rückblickend.
Unfall, glücklose Selbständigkeit, Wohnungsverlust
Mauti verlor seine Wohnung nach einer Welle des Unglücks. Begonnen habe alles mit einem Unfall, sagt Mauti. Er sei mehrfach operiert worden und nicht mehr ganz einsatzfähig gewesen. Man habe ihm dann eine 20-Prozent-Rente zugesprochen; 1200 Franken im Monat. Das sei «zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben». Mauti versuchte, sich finanziell über Wasser zu halten und gründete ein eigenes Unternehmen. Dieses lief aber nicht so, wie er es wollte und irgendwann musste er aufgeben. In der Folge bezahlte er die Miete nicht mehr. «Irgendwann konnte mein Vermieter nicht mehr», sagt Mauti. Der Vermieter kündigte und Mauti hatte kein Dach mehr über dem Kopf.
Ich konnte die Miete nicht mehr bezahlen und irgendwann konnte mein Vermieter nicht mehr. Er kündigte mir die Wohnung und ich lebte fortan auf der Strasse.
Aus der Obdachlosigkeit retten, konnte sich Mauti dank eigenem Einsatz und der Hilfe von zwei Organisationen. Zuerst konnte er während eines halben Jahres für die Wärmestube «soup and chill» arbeiten. Danach begann das Strassenmagazin «Surprise» soziale Stadtrundgänge anzubieten und fragte Mauti an, ob er Menschen zeigen würde, wo sich Obdachlose in Basel aufhielten. Mauti sagte beide Male zu – schliesslich habe er stets «auf eine Chance wie diese gewartet». «Surprise» vermittelte ihm dann den Kontakt zur diakonischen Stadthilfe «Elim». Dort habe er ein Zimmer bekommen; sein erstes Dach über dem Kopf nachdem er seine Wohnung verloren hatte. Mittlerweile wohnt Mauti bei seiner Freundin und sagt: «Heute geht es mir gut.»
(Regionaljournal Basel, 17:30 Uhr)