Die Zahl der Logiernächte von chinesischen Touristen in Interlaken hat sich seit 2007 verzehnfacht. Diejenige der sehr zahlungskräftigen arabischen Gäste ist um 500 Prozent gestiegen. 45 Prozent aller Gäste der traditionsreichen Oberländer Tourismusdestination am Fusse der Jungfrau kommen aus dem sogenannten asiatischen Markt und der Boom geht ungebremst weiter.
Der Vorteil: Diese Gäste retten das Tourismusgeschäft, weil ihnen der Eurokurs egal ist. Sie bezahlen in anderen Währungen. «Wir rechnen damit, dass wir so die Euro-Krise kompensieren können,» bestätigt der Interlakner Tourismusdirektor Stefan Otz. «Man sieht aufgrund der Statistik sehr genau, wo da die Post abgeht.»
Gute Gäste mit sehr dominantem Auftritt
In der Bevölkerung und bei den traditionellen europäischen Gäste macht sich allerdings ein mulmiges Gefühl breit. Die mit zahllosen Cars anreisenden Chinesen und die arabischen Grossfamilien mit den verschleierten Frauen dominieren oft das Strassenbild. Und dies weckt Aversionen - auch wenn diese Gäste das Geschäft am Laufen halten. Das ist das Dilemma.
Interlakarabia
«Es ist tatsächlich eine heikle Entwicklung. Wir geben Gegensteuer, indem Einheimische und Gäste in Kursen lernen, diese Gäste zu verstehen und mit ihnen richtig umzugehen», sagt Stefan Otz.
«Man kann nicht beides haben. Das ist wohl der Kompromiss, den wir eingehen müssen,» bilanziert Liegenschaftstreuhänder Jürg Zumkehr, ein Einheimischer mit viel Erfahrung im Handel mit Hotel- und Gastro-Liegenschaften. Sein Metier spiegelt die Fokussierung von Interlaken auf die asiatischen Gäste.
Von den 130 Hotels und Restaurants sind 35 in asiatischer Hand. Weil Chinesen, Inder und Koreaner hier die Chance packen, ihren Landsleuten etwas zu bieten und sich so eine Existenz schaffen. «Klare Wechselwirkung, die erfolgreich ist», bestätigt Jürg Zumkehr. Und der Druck auf die Liegenschaften nimmt zu: «Ich habe Interessenten. Wenn wir mit einer Liegenschaft auch die Niederlassungsbewilligung verkaufen könnten wie in Portugal oder Rumänien, würden wir völlig überrennt».
Interkulturelles Management ist gefragt
Urs Graf, der Gemeindepräsident von Interlaken, kennt die Sicht der Touristiker, aber auch die Befindlichkeit seiner Bürgerinnen und Bürger. Die Irritation wegen verschleierter Frauen im öffentlichen Raum sind ihm dabei keineswegs entgangen.
Man sei ja auch froh, dass Interlaken dank der asiatischen Gäste weniger vom Euromarkt abhängig sei. «Aber das heisst nicht, dass wir unsere Kultur und unsere Werte verleugnen und vor dem arabischen Geldadel kuschen», bringt es der SP-Gemeindepräsident auf den Punkt.
Aber ein interkulturelles Management ist nötig, weiss Urs Graf. «Das fängt schon bei der Bewältigung der Cars an. Wenn chinesische Gäste in einem italienischen Reisebus mit rumänischem Chauffeur eintreffen, brauchts schon mal ordentlich Gespür.»