«Ein Beispiel: Wir behandeln einen Kredit, um die Bernmobil-Haltestellen behindertengerecht zu machen, und der ist völlig unbestritten. Trotzdem debattierten wir eine ganze Stunde.» Stadtratspräsident Claude Grosjean (GLP) ist ein wenig frustriert. Bern fehle eine Ratskultur. Das Verhältnis von Effizienz und Debatte stimmt für ihn oft nicht. Und mit dieser Meinung ist er nicht der Einzige.
Ein Parlament ohne guten Ruf
Die Kritik am Parlament der Bundesstadt wiederholt sich regelmässig. Trotz verschiedenen Ansätzen, etwas mehr Effizienz in den Ratsbetrieb zu bringen, gibt es immer wieder kritische Stimmen. Der Rat beschäftige sich zu sehr mit sich selbst, er werde von einzelnen Politikern als Plattform missbraucht und er komme deshalb trotz grosser Geschäftslast nicht vom Fleck.
Immer wieder wird hier die SVP ins Spiel gebracht, vor allem von der Ratslinken. Die Volkpartei äussere sich viel zu oft zu Themen, die eigentlich keine Debatten benötigen, so der Tenor. «Die SVP kann nicht damit umgehen, dass sie in der Stadt in der Minderheit ist», sagt David Stampfli von der SP-Fraktion.
Die Voten der Minderheit
Hier kontert SVP-Stadtrat Erich Hess: «Wir wollen den bürgerlichen Wählern eine Stimme geben.» Deshalb würden sich er und seine Kollegen im Rat melden, wenn sie eine andere Position zu einer Vorlage hätten. Und das sei häufig der Fall.
Im stadtberner Parlament stehen sich zwei Fronten gegenüber, die sich spinnefeind sind. Hier die Rot-Grün-Mitte-Koalition, die mit einer komfortablen Mehrheit politisiert, da die bürgerliche Minderheit, die ihren Ansichten breit Gehör verschafft. «Und keiner hört dem anderen zu», bedauert Ratspräsident Claude Grosjean. Der Pendenzenberg wird so sicher nicht kleiner.
Auf Kantonsebene funktionierts
Gleicher Ratssaal - anderes Parlament - völlig andere Kultur: Das bernische Kantonsparlament hat sich im Sommer 2014 neue Regeln gegeben. Mit der Parlamentsgesetzrevision stärkte es seine eigene Position gegenüber der Regierung, aber auch die Kommissionen erhielten mehr Gewicht.
Die Redezeit wurde eingeschränkt und der Ratsbetrieb neu strukturiert. Seither gehen die Sessionen meist einen Tag früher zu Ende, als geplant.
«Die Parlamentarier mussten sich erst an die verkürzten Redezeiten gewöhnen», sagt Grossratspräsident Marc Jost (EVP). Es bleibe jedoch noch genügend Raum, um wichtige Themen zu debattieren. Es sei aber zentral, bereits bei der Planung der Session Wichtiges von weniger Wichtigem zu trennen. Jost: «Aus meiner Sicht hat es sich bewährt, den Parlamentsbetrieb effizienter zu gestalten.»