Wenn der Vater oder der Grossvater vor Jahrzehnten einen Hühnerstall oder ein Bienenhaus ohne Baubewilligung aufstellte, ohne dass das jemanden störte, kann das für die Nachkommen zum Problem werden. Dann nämlich, wenn die Gemeinde im Verlauf der Grundbuch-Aktualisierung ein nachträgliches Baugesuch verlangt und damit die heutigen Eigentümer überrumpelt. Denn ein nachträgliches Bauverfahren ist zuweilen eine aufwendige und teure Angelegenheit.
Zwei solche Fälle hat der SRF-Kassensturz in der Gemeinde Sigriswil aufgedeckt. Eine Erhebung vor ein paar Jahren zeigte, dass es im Kanton Bern etwa 500 solche illegalen Bauten gibt. Das ist ein halbes Promille des gesamten Gebäudebestandes im Kanton.
Recht und Fristen sind nicht das Gleiche
Für Rolf Mühlemann, stellvertretender Abteilungschef Bauen und Jurist im bernischen Amt für Gemeinden und Raumordnung AGR, ist die rechtliche Lage klar. Wenn eine Gemeinde von einem unbewilligten Bau Kenntnis erhält, müsse sie handeln. Die Frage ist nur, wie.
«Illegale Bauten werden nicht legal, nur weil sie zwei oder drei Generationen lang schon stehen. Ersessenes Recht gibt es bei Baubewilligungen auch nach Jahrzehnten nicht. Aber auf der anderen Seite ist auch klar, dass die Gemeinden nach 30 Jahren und mehr keine Wiederherstellung mehr verlangen können», erläutert Rolf Mühlemann.
Illegale Bauten werden nicht legal, nur weil sie zwei oder drei Generationen lang schon stehen.
Das heisst: Selbst wenn ein nachträgliches Baugesuch abgelehnt würde, müsste der heutige Eigentümer einen Stall oder ein Holzschopf nicht mehr abreissen. Aber der Baujurist schränkt ein: «Wenn es brennt oder eine Lawine den Bau zerstört, dann gibt es auch kein Recht, ihn wieder aufzubauen».
Kanton sucht pragmatische Lösung
Bei der Frage, wie zu verfahren ist, um dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen, sind die kantonalen Behörden allerdings sichtlich bemüht, den gesunden Menschenverstand anzuwenden. «Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist sicher zu wahren», bestätigt Rolf Mühlemann.
Auch die Regierungsstatthalterämter vertreten diese Auffassung. Sie sind im ländlichen Raum in aller Regel Baubewilligungsbehörde.
«Die Statthalterinnen und Statthalter sind einhellig der Meinung, dass auf unnötigen Formalismus zu verzichten ist und pragmatische Lösungen anzustreben sind. Die Bevölkerung darf da Fingerspitzengefühl erwarten», sagt Kurt von Känel, Geschäftsführer der bernischen Regierungsstatthalterämter.
Das gewichtige Wort aus den Verwaltungskreisen und vom einflussreichen AGR wird in den Gemeinden wohl mit Erleichterung aufgenommen.