Im Paket finden sich etwa Flugblätter oder Kleber, die in Pausenräumen aufgelegt oder in Toiletten angebracht werden können. Betroffene sollen so auf diskrete Weise ermutigt werden, bei der jeweiligen Institution aktiv Hilfe zu suchen. Zudem geben ein Merkblatt und ein ausführlicher Leitfaden potenziellen Vertrauenspersonen Tipps, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie mit einem konkreten Fall konfrontiert sind.
Diese Woche werden die Infopakete verschiedenen Institutionen zugeschickt. Die Stadt Bern hat das Informationsmaterial für potenzielle Vertrauenspersonen und -institutionen gemeinsam mit «Terre des Femmes Schweiz» erarbeitet. Wie Projektleiterin Simone Eggler sagt, seien vor allem Frauen und Männer aus Südosteuropa, zum Beispiel der Türkei, aus Sri Lanka oder neu auch aus afrikanischen Ländern von Zwangsheiraten betroffen. «Das Klischee, dass vor allem muslimische Frauen mit Schleier zwangsverheiratet werden, stimmt nicht.»
Etwa 350 Zwangsheiraten in der Schweiz
In der Schweiz wurden in den Jahren 2009 bis 2011 etwa 350 Personen unter Druck gesetzt, gegen ihren Willen eine Heirat einzugehen. Das ergab eine vom Bund in Auftrag gegebene Umfrage bei 229 Institutionen, die vom Phänomen der Zwangsheirat betroffen sind.
In diesem Papier wird auch eine dritte Kategorie genannt: Personen, die an einer Scheidung gehindert werden, also gezwungen sind, verheiratet zu bleiben. Die Schätzungen gehen von rund 650 solchen Zwangsehen aus. Genaue Zahlen zum Phänomen der Zwangsheirat zu nennen, sei nicht möglich, heisst es in der Studie.
«Prävention zeigt Wirkung»
Häufig ist es so, dass sich die Betroffenen nicht melden - aus Loyalität gegenüber der Familie. Auf das Schweizerische Verbot gegen Zwangsehen hinzuweisen, bringe wenig, sagt Simone Eggler von «Terre des Femmes». Die Erfahrung aus anderen Projekten zeige aber, dass solche Aktionen wie das Verschicken von Infopaketen Wirkung zeige. «Die Betroffenen und ihre Freundinnen und Freunde melden sich häufiger bei den entsprechenden Beratungsstellen.»