Wenn er wählen könnte zwischen einem freien Nachmittag mit einem Krimi oder einer spannenden Operation... - «Eigentlich sollte beides möglich sein», sagt Thierry Carrel. Aber er sei halt schon ein leidenschaftlicher Chirurg. Es sei durchaus seine freie Entscheidung, 80 bis 100 Stunden pro Woche zu arbeiten. Und die Arbeit gebe ihm auch viel, er bekomme viele dankbare Briefe von Patienten. Diese Dankbarkeit erstaune ihn: «Wir leben ja in einer Zeit, in der vieles als normal vorausgesetzt wird.»
Der Vorteil von knapper Freizeit
Dass neben der strengen Arbeit wenig Zeit für das Privatleben bleibt, sieht Thierry Carrel nicht unbedingt als Problem, im Gegenteil: «Ich kenne viele Leute, die so viel Freizeit haben, dass sie gar nicht wissen, was sie damit anfangen wollen.» Und wenn er mit seiner Frau oder seiner erwachsenen Tochter Zeit verbringe, sei diese stets intensiv und alle freuten sich darauf. Durchaus auch ein Vorteil: «Es gibt keine Gefahr, in eine Routine zu kommen.»
Als Herzchirurg muss Carrel viele Entscheidungen treffen. Im Nachhinein denke er manchmal noch lange über einen schwierigen Fall nach. Doch wenn man sich keines Fehlers bewusst sei, dürfe man sich nicht zu sehr mit dem Schicksal der Patienten identifizieren.
Ethische Fragen gehen alle an
Nebst den medizinischen Entscheidungen spielten zunehmend auch solche mit ethischer Komponente eine Rolle. Etwa die Frage, ob es ethisch und auch ökonomisch vertretbar sei, einem 85- oder 90Jährigen noch einen Herzeingriff zuzumuten, nur weil es technisch machbar ist. Carrel ist der Meinung, dass Fragen etwa nach dem Wert des Lebens im hohen Alter nicht allein von Ärzten oder der Politik entschieden werden sollten. «Wir alle, die Gesellschaft, müssen solche Fragen immer wieder diskutieren», sagt Thierry Carrel im «Regionaljournal Bern Freiburg Wallis» von Radio SRF.
Thierry Carrel ist 1960 in Freiburg geboren. Er hat dort und in Bern Medizin studiert, seit 1999 leitet er die Klinik für Herz- und Gefässchirurgie am Berner Inselspital.