Im November 1954 empfingen der Bundesrat, die Berner Regierung und der Gemeinderat von Bern einen besonderen Gast: Kaiser Haile Selassie, König der Könige von Äthiopien. Das Volk von Bern säumte zu Zehntausenden die Strassen von Bern, um einen Blick auf den afrikanischen Herrscher zu werfen, Schulkinder bekamen frei, um Fähnchen zu schwenken. Er bewohnte während seines Staatsbesuchs und der Besichtigung von Rüstungsbetrieben in Zürich standesgemäss das Schloss Jegenstorf, ein Jahrzehnt vorher Hauptquartier von Weltkriegs-General Henri Guisan.
«Ich habe ihn bewacht», sagt stolz Dragoner Hans Siegenthaler, einer der Zeitzeugen des Staatsbesuchs. «Natürlich war das ein Ereignis, so etwas sah man nicht alle Tage, die Aufmachung und so.»
Ein Löwenhaar aus dem prunkvollen Kopfschmuck des Kaisers gilt denn auch als wahre Kostbarkeit der Gedenkausstellung im Schloss Jegenstorf zum 60. Jahrestag des Staatsbesuchs.
«Es war sehr spannend, auf die Suche nach Ausstellungsobjekten zu gehen. Unser Aufruf in der Bevölkerung hat unglaubliche Raritäten zu Tage gefördert. Filmaufnahmen zum Beispiel, die wir das erste Mal zeigen können», sagt Konservatorin Murielle Schlup vom Schloss Jegenstorf. An der Vernissage am Dienstagabend war es wie vor 60 Jahren – die Berner Kavallerie Bereitermusik sorgte vor einer Schar Gäste für den würdevollen Rahmen.
Der Bundesrat wollte gut Wetter machen
Einer diplomatisch verunsicherten Landesregierung war kein Aufwand zu gross, um Haile Selassie milde zu stimmen. Immerhin hatte die Schweiz dem Löwen von Ätiopien in den Dreissigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die kalte Schulter gezeigt, als das faschistische Italien diesen Teil Afrikas besetzte. Und so liess die Eidgenossenschaft in die meterdicken Mauern des Schlosses auch ein Badezimmer einbauen, um ihrer Majestät unzumutbar lange Wege vom Bett zu Toilette und Badewanne zu ersparen.
Die gelb gekachelte, vor 60 Jahren ungeheure 18‘000 Franken teure und aus heutiger Sicht doch sehr bescheidene Nasszelle gehört heute zu den Wunderlichkeiten im Schloss Jegenstorf. Das Gerücht, der kaiserliche Gast habe das Bad anlässlich seines viertägigen Besuchs nie benutzt, ist nicht auszurotten.
«Man hat ihn in seiner Rolle als Kaiser und Staatsoberhaupt ernst genommen. Aber gleichzeitig war Haile Selassie wohl schon 1954 ein Vertreter einen vergangenen Zeit», mutmasst alt Regierungsrat und Nationalrat Urs Gasche, Präsident der Schloss-Stiftung. Immerhin schaffte es der Kaiser, noch weitere 20 Jahre mit absoluter Macht zu herrschen, bevor er nach Unruhen im Land gestürzt wurde und 1975 unter ungeklärten Umständen starb.