Konrad Maritz blättert im Dorfbuch von Lostorf, schaut sich die schwarz-weissen Bilder an von früher, und wird wehmütig. Er erzählt von den Bauernhäusern, welche die Dorfstrasse säumten, von den vielen Beizen, und dass noch jeder jeden kannte. Damals, als er Anfang der 1950er-Jahre zur Schule ging.
Dann habe der Bau-Boom eingesetzt, erzählt Maritz. In den 50er- und 60er-Jahren habe man die ersten Hügel oberhalb des Bauerndorfs überbaut. Einfamilienhäuser seien entstanden für Auswärtige, die gut bezahlte Jobs hatten. Lostorf konnte mit einer ruhigen Wohnlage punkten. Eine Durchgangsstrasse fehlt im Dorf.
Vom Bauerndorf zum Schlafdorf
Auch in den 1980er- und 90er-Jahren ging der Bauboom weiter. Von 1981 bis 2015 ist die Bevölkerung von Lostorf um 61 Prozent gewachsen. Zum Vergleich: Die ganze Schweiz ist in dieser Zeit im Durchschnitt um 31 Prozent gewachsen. Fast 4000 Einwohner zählt Lostorf heute. Das Bauerndorf habe sich zum Schlafdorf entwickelt, klagt Bürger Maritz.
Dank den vielen Einwohnern gibt es in Lostorf nach wie vor eine Poststelle. Zudem eine Migros, den Denner, eine Drogerie, eine Metzgerei, eine Bäckerei. Früher habe es allerdings drei Bäckereien gegeben, erzählt Maritz, und noch neun Restaurants. Je mehr Zuzüger kamen, desto mehr verschwand das Gewerbe.
Bevölkerung in der Schweiz
Der 71-Jährige hat genug vom Wachstum. So wie es jetzt sei, sei es in Ordung, meint Maritz. Noch mehr Menschen könne das Dorf nicht verkraften. Das Haus, in dem er aufgewachsen sei, sei früher allein gestanden, heute sei es «mitten drin».
Vom Arbeiterdorf zur Agglogemeinde
Nur wenige Kilometer neben Lostorf liegt Trimbach. Gleiche Region, gleiche Entwicklung? Im Gegenteil: Während Lostorf stark gewachsen ist, ist Trimbach geschrumpft. Verglichen mit 1981 leben heute weniger Menschen in der Oltner Vorortsgemeinde. 1981 waren es 7'140, heute sind es 6'505.
Der ehemalige Gemeindepräsident Martin Straumann weiss, weshalb sich Trimbach anders entwickelt hat als viele andere Schweizer Gemeinden. Der pensionierte Lehrer erzählt zuerst von den «stürmischen Zeiten», als Trimbach in den 1950er- und 60er-Jahren stark gewachsen ist.
Der Grund: Die Industrie im Kanton Solothurn florierte. In Olten rauchten die Kamine der Zementfabrik, der Seifenfabrik, der Von Roll. Und weil die Tausenden von Arbeiter noch nicht so motorisiert waren wie heute, zügelten sie in die Nähe der vielen Arbeitsplätze, unter anderem nach Trimbach.
Stürmische und ruhige Zeiten
«Das hat die Gemeinde ziemlich überrollt. Alle sieben Jahre musste man ein Schulhaus einweihen. Die Wasserversorgung wurde auf 12'000 Einwohner ausgelegt», erzählt Straumann.
Als die Glanzzeiten der Solothurner Industrie vorbei waren und die Fabriken schlossen, kehrten viele Arbeiter Trimbach den Rücken. Das Dorf schrumpfte. Für Ex-Gemeindepräsident Martin Straumann war das keine Tragödie: «Ich habe diese Zeit als angenehm erlebt», lacht der ehemalige Lehrer: «Man hatte in den Schulhäusern und Turnhallen endlich genügend Platz.»
Während in den Boom-Jahren von Trimbach viele Wohnblöcke entstanden sind, wurden diese in den Schrumpf-Jahren zum Teil vernachlässigt. Der vergleichsweise billige Wohnraum ist einer der Gründe, weshalb Trimbach in den letzten Jahren wieder zu wachsen begonnen hat.
Hier könne er sich eine Wohnung noch leisten, meint ein zufriedener Trimbacher. In Zürich würde er wohl in einer WG wohnen müssen, ergänzt der Zuzüger. In Zürich ist Wohnraum für viele unbezahlbar geworden – eine der Schattenseiten des Wachstums.