«Segantini. Kunst und Liebe besiegen die Zeit.» So heisst die Biografie, die Gioconda Segantini im Eigenverlag publiziert hat. Erschienen ist das Buch 2018. Am Donnerstag war sie in Chur für eine Lesung zu Gast.
SRF News: Gioconda Segantini, Sie haben Ihren Grossvater Giovanni nicht gekannt. Dennoch, was bedeutet er für Sie ganz persönlich?
Gioconda Segantini: Sehr viel. Er lebte in Maloja, in Maloja bin ich auf die Welt gekommen. Dort habe ich die Natur so erlebt, wie er sie gemalt hat. Diese ganz tiefe Verbundenheit mit der Natur und dem Licht des Engadins stammt sicherlich von ihm.
Wie hatte ihr Vater Giovanni Segantini in Erinnerung?
Mein Vater war 17 als Giovanni Segantini gestorben ist, also noch sehr jung. Er hat immer mit grosser Liebe und Hochachtung von meinem Grossvater gesprochen. Alle Kinder Segantinis, das merkte ich beim Schreiben des Buches, haben die Natur durch ihren Vater sehr intensiv erlebt.
Im Zusammenhang mit Giovanni Segantini fallen vielfach diese Schlagworte: Licht, Natur und Landschaft. Weshalb haben Sie «Kunst und Liebe» für den Titel gewählt?
«Kunst und Liebe besiegen die Zeit» steht auf seinem Grabstein. Licht ist für mich aber auch wichtig, um ihn zu beschreiben. Und es ist auch die Zeitlosigkeit. Denn das Licht wird es immer geben und die Liebe wird es immer geben. Mit der Kunst hat er all dies festgehalten.
Das Buch besticht durch die vielen Originaldokumente. Amtliche, aber auch ganz persönliche Briefe. Waren diese alle in Familienbesitz?
Ich konnte einfach mit dem arbeiten, was in Familienbesitz ist. Es gibt noch viel mehr Dokumente, die heute andere besitzen. Das Gute an der Recherche war, dass die Dokumente jetzt alle gut archiviert sind. Zuvor lagen sie ungeordnet in grossen Kartons.
Welches Dokument bedeutet Ihnen persönlich am meisten?
Der Veilchenbrief. Darin schreibt er seiner Frau Bice, dass sie sein Grab später einmal täglich besuchen und Veilchen mitbringen soll. Das ist für mich das Wertvollste von Segantini überhaupt.
Segantini ist zeitlos. Das Licht wird es immer geben, und die Liebe wird es immer geben. Die Kunst schliesst bei ihm beides ein.
Sie leben schon lange in Deutschland, es zieht Sie aber immer wieder nach Maloja zurück. Auch aus einer Verbundenheit mit Ihrem Grossvater?
Auf jeden Fall. Ich bin dankbar und voller Ehrfurcht darüber, was der Mensch alles hinterlassen hat. Kunst und Liebe besiegen die Zeit.
Ein anderer Satz hat sich mir eingeprägt. Es ist der letzte Satz des Buches: «Der grosse Maler der Alpenwelt hat diese in ihrer epischen Erhabenheit erfasst und die Menschheit gelehrt, sie in ihrer einfachen, monumentalen Grösse zu sehen.» Würden wir die Berge, die Alpen heute anders sehen, wenn es Giovanni Segantini nicht gegeben hätte?
Wir sehen die Alpen heute ganz anders als früher. Damals hatte man Ehrfurcht, beinahe Angst vor den Bergen und kletterte nicht darauf herum. Was aber gleich bleibt, ist die Schöpfung. Das hat er festgehalten.
Das Gespräch führte Marc Melcher.