Sie war die «längste Lustmeile der Schweiz», die Industriestrasse in Olten. Vor knapp 20 Jahren hatte der dortige Strassenstrich seinen Höhepunkt: Auf einer Länge von 2 Kilometern warteten abends jeweils bis zu 150 Frauen. Der Kanton Solothurn galt wegen der Nähe zur Autobahn auch in Sachen Rotlichtmilieu als schweizweiter Brennpunkt.
Flaute auf dem Oltner Strich
Zuletzt ist es aber ruhiger geworden. «Früher hatte ich teils über 120 Kunden pro Woche. Heute sind es manchmal nur noch 20», sagt die 45-jährige Eva* aus Deutschland, seit 15 Jahren in Olten. Und auch Anna*, 26, aus Bulgarien klagt. «Anfangs konnte ich meine Familie ernähren, jetzt kaum noch. Aber ich bleibe, weil ich Kontakt und Schutz habe, dank anderen Frauen und Lysistrada.» Diese Fachstelle betreut seit Jahren Sexarbeiterinnen auf dem Strich und in Bordellen. Die vielen Polizei-Kontrollen hätten Freier vertrieben und das Internet mache dem Strich Konkurrenz.
Verärgerte Bordell-Betreiber
Auch Betriebe wie das Erotikstudio Insomnia spüren das Internet – und vor allem eine neue Tendenz. «Viele Frauen bieten sich in privaten Räumlichkeiten an», sagt Insomnia-Inhaber André*. Das liege vor allem am neuen Sexarbeits-Gesetz des Kantons: Seit 2016 müssen alle, die Räume für Sex anbieten, eine Bewilligung haben.
Diese hat auch André. Viele würden sich aber drücken und Dienste privat anbieten. Dafür will der Kanton Solothurn nämlich keine Bewilligung. Das ärgert André: «Ich habe Formulare ausgefüllt, zahle Sozialabgaben und Quellensteuer wie andere Unternehmer auch. Aber dass man das einfach umgehen kann, ist nicht ganz fair.»
Verschiebung ins Private
Das neue Sexarbeits-Gesetzes spürt auch die Kantonspolizei Solothurn. Während sie 2015 noch von 85 Betrieben Kenntnis hatte, sind es jetzt noch 51. Minus ein Drittel. Deswegen seien aber nicht weniger Frauen im Sexgewerbe. «Weniger Betriebe haben wir, weil wir einerseits Kontrollen in den Betrieben machen und andererseits wegen dem neuen Gesetz», bestätigt Kripo-Chef Urs Bartenschlager. Es wolle nicht jeder eine Bewilligung holen, auch das führe zu einer Verschiebung – ins Private.
Diese Verlagerung macht die Arbeit schwer. «Wir verlieren zunehmend den Überblick, wo Betriebe und Frauen sind. Wir haben wirklich langsam die Übersicht nicht mehr», bestätigt Bartenschlager gegenüber «10vor10». Das vereinfacht auch den Kampf gegen Menschenhandel nicht. Dieser ist im Kanton Solothurn vor allem im Sexgewerbe daheim – und nicht zu knapp: Als die Polizei dort einen Schwerpunkt legte, kamen die Hälfte aller Schweizer Fälle aus dem Kanton Solothurn.
Ziel erreicht?
Ziele hat dieses Gesetz mehrere: Sexarbeit soll als Arbeit anerkannt werden und deshalb ins Arbeitsgesetz. Das ist schweizweit einzigartig und wird von Lysistrada oder Betrieben wie dem Insomnia gelobt. Ausserdem sollte das Gesetz das Milieu transparenter und übersichtlicher machen. Und: Sexarbeiterinnen sollen stärker geschützt werden.
Doch Schutz, Übersicht und Transparenz wurden aus Sicht der Betroffenen nicht besser. Das Gegenteil ist passiert. Darin sind sich Lysistrada und Polizei weitgehend einig.
Kanton glaubt an Schritt in richtige Richtung
Für das Gesetz zuständig ist das Solothurner Amt für Wirtschaft und Arbeit. Eine Verlagerung der Sexarbeit in private Räume und damit in die Illegalität war keine Absicht, erklärt Abteilungsleiter Jonas Motschi auf Anfrage. Er verstehe auch den Groll von Bordellbetreibern über illegale Konkurrenz. Und ja: Schutz, Transparenz und Überblick seien nicht optimal. «Ich anerkenne, dass das Gesetz noch nicht bringt, was es bringen soll. Aber ich habe ehrlicherweise keinen besseren Weg. Den kennt glaube ich niemand.»
Fraglich ist, ob Gesetze Bereiche regeln können wie die Sexarbeit. «Das dürfte schwierig sein», sagt Motschi. «Wenn man Gesetze macht, darf und sollte man nicht immer davon ausgehen, dass dann ein für alle Mal etwas geregelt ist», so der Abteilungsleiter. Man müsse mal etwas probieren. Zum Beispiel sei der Entscheid, Sexarbeit als Arbeit zu definieren, richtig gewesen. Das Gesetz könne wo nötig angepasst werden. Ein Marschhalt jetzt sei aber zu früh. Und: Die Bewilligungspflicht für Sexarbeits-Räume sei sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
Luzern auf dem gleichen Weg
Aktuell überlegt sich auch der Kanton Luzern, den Schritt in diese Richtung zu gehen. Noch bis im Herbst läuft die Vernehmlassung für eine Bewilligungspflicht für Sexbetriebe. Auch im Kanton Luzern wird das Argument erwähnt, mit einer Bewilligungspflicht verbessere sich die Situation der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter.
*Name von der Redaktion geändert
(Sendebezug: SRF, 10 von 10; SRF1 Regionaljournal Aargau Solothurn)