SRF News: Jost Auf der Maur, Sie besichtigten 20 Jahre lang immer wieder an verschiedenen Orten unterirdische Anlagen, Bunker und Stollen – was ist der Reiz daran?
Jost Auf der Maur: Es ist die Vielfalt, aber natürlich auch die schiere Grösse. Zusammengezählt ergeben die Tunnel und Stollen in der Schweiz eine Länge von fast 4000 Kilometern, was der Distanz zwischen Zürich und Teheran entspricht. Es ist zum Teil bizarr, es sind auch enorme Fehlplanungen dabei. Gerade in Luzern ist diese Bunkerstadt der Zivilschutzanlage Sonnenberg, die für 20‘000 Menschen konzipiert worden ist. Ja, und man muss das hässliche Wort brauchen, es ist eine Missgeburt.
Warum eine Missgeburt?
Sie funktioniert nicht. Sie ist hingestellt worden mit einem erstaunlichen Unwissen. Solche Fehler gab es zu Hauf. Aber insgesamt muss ich sagen, ist diese Infrastruktur ein stabilisierender Faktor für dieses Land. Sie hat eine sehr grosse Bedeutung, ohne würde dieses Land wahrscheinlich nicht mehr funktionieren.
Die meisten denken zuerst an militärische Anlagen. Sie schreiben ja auch in ihrem Buch, am Anfang sei Frau Tresch, die Chefin des Hotels Sternen und Post in Amsteg, gewesen. Sie habe Ihnen vom Bundesratsbunker erzählt in Amsteg. In diesem Bunker hätte sich der Bundesrat im zweiten Weltkrieg verstecken können. Dieser ist offenbar recht gemütlich.
Die 1946 entstandenen Bilder vom Originalzustand, die man dank dem Armeefotodienst sehen kann, vermitteln ein Bild einer Landgasthofgemütlichkeit. Man erwartet, dass es am Sonntag Rahmschnitzel mit Nüdeli gib. Man versuchte, das mit Holztäfer und Bildern zu erreichen. Aber klimatisch war es sehr ungemütlich, sehr feucht, man konnte beispielsweise keine Banknoten oder wichtige Akten aufbewahren. Die verschimmelten in kürzester Zeit.
In Ihrem Buch erzählen sie ja nicht nur von den Bauten. Sie schreiben auch über die Menschen, die sie erstellt haben. Sehr viele haben einen Preis dafür bezahlt: Sie reden von etwa 10‘000 Menschen, die gestorben sind. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Es ist mir ein Anliegen, an diese Leute zu erinnern. Zum grössten Teil waren es Leute aus dem Ausland, viele aus Italien. Die Zahl kommt zu Stande, weil ich sie addiert habe und zwar nicht nur diejenigen Arbeiter, die direkt im Tunnel bei der Arbeit umgekommen sind. Sondern auch beispielsweise aufgrund der misslichen Verhältnisse in den Tunneldörfern, die an Typhus erkrankten, an Grippe, am Tunnelwurm, an einer Staublunge. Es waren Leute, die mit einem Handgeld nach Hause geschickt wurden, damit sie der Schweiz keine Kosten mit ihrem Sterben verursachten. Dazu gehören auch Frauen und Kinder, die in diesen Tunneldörfern gelebt hatten, nicht nur die Mineure. Ich denke, es wäre an der Zeit, dass das Land, das diese tolle Infrastruktur hat und betreibt, sich dessen bewusst würde und irgendeine Geste macht, eine Dankes- und Gedenkstätte einrichten würde für alle jene, die das für uns erstellt haben – zum Teil für Hungerlöhne.
Auszug eines Gespräches mit Jost Auf der Maur, integral zu hören im Audio. Das Interview führte Miriam Eisner.