Sie wurde als SVP-Regierungsrätin in den Bundesrat gewählt, regierte mit Unterstützung der Linken als Vertreterin einer 5-Prozent-Partei und entscheidet nun womöglich über die künftige parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung: Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf.
Tritt die Bündnerin im Dezember nach zwei Legislaturen nochmals an, könnte sie allenfalls die Wahl eines zweiten SVP-Bundesrates verhindern. Er sei nicht der Meinung, dass eine gut arbeitende Bundesrätin abgewählt werden sollte, wiederholte SP-Präsident Christian Levrat am Wahlabend immer wieder. Ähnlich wie CVP-Präsident Christophe Darbellay. Die Unterstützung der eigenen Fraktion hätte die Finanzministerin ohnehin. Für einen weiteren SVP-Sitz bliebe bei einer Wiederwahl kaum Platz.
Ringt sich Widmer-Schlumpf angesichts der neuen Kräfteverhältnisse im Parlament dagegen zu einem Rücktritt durch, dürfte es den Fraktionen schwer fallen, noch ausreichend stichhaltige Argumente gegen einen zweiten SVP-Sitz zu finden.
Was für einen Rücktritt spricht
- BDP-Verlust von 6,2 Prozent im Heimatkanton Graubünden erhöht den Druck
- Grundlegende Reform des Finanzplatzes ist umgesetzt
- Links- und Mitte-Parteien könnten SVP in die Verantwortung nehmen wollen
- Bei neuer Kandidatur besteht akutes Risiko einer Abwahl
«Ich rechne damit, dass Frau Widmer-Schlumpf in den nächsten Tagen ihren Rücktritt erklären wird», sagt Philipp Burkhardt, Bundeshausredaktor von Radio SRF. Insbesondere angesichts der massiven Verluste der BDP in ihrem Heimatkanton könne niemand ernsthaft Anspruch auf einen Bundesratssitz erheben. Und durch die Verluste der übrigen Mitteparteien bestehe auch der Anspruch als zweite Mitte-Vertreterin in der Landesregierung nicht mehr.
Und auch inhaltlich wäre der Zeitpunkt für einen Rücktritt aus Widmer-Schlumpfs Sicht attraktiv, so der SRF-Bundeshausredaktor. Nach acht erfolgreichen Jahren, in denen sie einiges habe bewegen können, warteten auf Widmer-Schlumpf nun «nichts als unangenehme Sparvorlagen.» Mit ihrer ökologischen Steuerreform werde sie im SVP/FDP-dominierten Parlament keine Chance haben, meint Burkhardt. Genauso mit anderen anstehenden Dossiers.
Widmer-Schlumpf dürfte sich aber auch überlegen, ob sie das Risiko einer Abwahl nochmals eingehen will. Zwar betonten sowohl SP-Präsident Christian Levrat, als auch CVP-Chef Christophe Darbellay in den letzten Stunden und Tagen unablässig, eine erfolgreiche Bundesrätin müsse man nicht abwählen.
Dennoch dürften selbst jene Fraktionen, die Widmer-Schlumpf bisher immer gewählt haben, auch Alternativen diskutieren, um die SVP stärker in die Regierungsverantwortung zu zwingen. Selbst vom eigenen Parteipräsidenten Martin Landolt gab es bisher kein klares Bekenntnis zu einer weiteren Kandidatur von Widmer-Schlumpf.
Was gegen einen Rücktritt spricht
- Wiederwahl ist rechnerisch nicht ausgeschlossen
- Breite Unterstützung ausserhalb von SVP und FDP
- Anerkannte Arbeit im Parlament
- Parteipolitische Überlegungen zur Wahrung des BDP-Einflusses
Für einen Verbleib im Bundesrat könnten aus Sicht Widmer-Schlumpfs insbesondere rechnerische Überlegungen sprechen, meint der Politologe Georg Lutz: «Es könnte eben doch noch für eine Mehrheit reichen und ich gehe davon aus, dass Widmer-Schlumpf erst nach genauer Prüfung des Resultates entscheiden wird.»
Das würde freilich bedeuten, dass die Finanzministerin ihren endgültigen Entscheid erst in gut vier Wochen fällen könnte. «Wenn am 22. November alle zweiten Wahlgänge für den Ständerat durch sind, weiss man dann auch, wie die Sache rechnerisch aufgeht», sagt SRF-Bundeshausredaktor Hanspeter Trütsch zu den Chancen auf eine Wiederwahl. Wie Burkhardt geht aber auch Trütsch davon aus, dass Widmer-Schlumpf sich bereits jetzt «im stillen Kämmerlein» Gedanken macht.
Zumindest bisher geniesst Widmer-Schlumpf aber ausserhalb der SVP und grosser Teile der FDP breite Unterstützung. Immer wieder sprach CVP-Präsident Darbellay in den vergangenen Stunden und Tagen von einer «gut arbeitenden Bundesrätin». Dies spricht ihr so selbst die FDP nicht ab, und die Linke schätzt die Zusammenarbeit mit Widmer Schlumpf, insbesondere bei der Restrukturierung des Finanzplatzes.
Für eine erneute Kandidatur könnten aus Widmer-Schlumpfs Sicht im Weiteren allenfalls parteipolitische Überlegungen sprechen. «Ohne das Zugpferd im Bundesrat hätte es die BDP bei den gestrigen Wahlen noch viel schwieriger gehabt», meint Philipp Burkhardt. Ohne Widmer-Schlumpf werde es die Partei in Zukunft sehr schwer haben.