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Carl Lutz Der Gerechte aus dem Appenzellerland

Der Appenzeller Carl Lutz steht in der Erinnerung an den Holocaust bis heute im Schatten des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg oder des St.Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger. Dabei hat er mindestens 60'000 ungarische Juden vor dem Konzentrationslager gerettet. Heute wäre Carl Lutz 125 Jahre alt geworden.

Carl Lutz wird als eher ängstlich beschrieben, zurückhaltend, introvertiert. Und doch riskierte er im Herbst 1944 in Budapest mehrmals sein Leben bei der Rettung von ungarischen Juden vor den Nazis.

Appenzeller Wurzeln

Lutz wird am 30. März 1895 in Walzenhausen geboren, einem kleinen Dorf im Appenzeller Vorderland. Er ist der jüngste Sohn einer kinderreichen Methodisten-Familie. Eigentlich möchte er Priester werden, doch zum Predigen ist er zu scheu.

Er kann aber auch forsch auftreten - zum Beispiel im Mai 1944, als er von SS-Obersturmbann-Führer Adolf Eichmann Schutzpässe für Juden fordert: «Jetzt sage ich etwas, was Sie überrascht. Wenn Sie Jude wären, kämen Sie auch zu mir.»

Vom KV in den diplomatischen Dienst

Nach einer kaufmännischen Lehre zieht es den 18-Jährigen in die USA. Er studiert Rechtswissenschaft an der George Washington University und kommt über einen Ferienjob zum diplomatischen Dienst. Mehrere Stationen in den USA und in Palästina folgen. 1942 wird Lutz schliesslich Vizekonsul der Schweizer Botschaft in Budapest.

Mit der Besetzung Ungarns 1944 durch die deutsche Wehrmacht, verschlechtert sich die Situation für die Juden. Innert drei Monaten werden 400'000 Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Die humanitäre Katastrophe rüttelt Lutz auf. Es gelingt ihm, durch diplomatisches Geschick an Schutzpässe zu gelangen, erinnert sich Stieftochter Agnes Hirschi. Mit einem Trick wird aus den 8000 Pässen ein Vielfaches: «Mein Vater hat Einheiten als Familie interpretiert.»

«Keinen Dank vom Bundesrat»

In der Schweiz habe man ihm dafür nicht gedankt. Im Gegenteil, man habe ihn gerügt wegen Kompetenzüberschreitung, sagt Lutz 1944 in einem Interview: «Sie haben gesagt, sie haben Glück gehabt, dass sie noch gut angekommen sind und dass sie den Krieg in Budapest überlebt haben.»

Die Rüge setzt Lutz schwer zu. Auch belastet es ihn, dass er nicht für den Friedensnobelpreis nominiert wird. 1975 stirbt Lutz verbittert in Bern.

Späte Würdigung

Als «verkannter Flüchtlingshelfer» geht Carl Lutz in die Geschichtsbücher ein. Doch es gibt auch andere Erzählweisen - zumindest was die Würdigung betrifft. Lutz bekommt 1948 in den USA die «Liberty Medal» für besonderen Mut, und 1964 wird er als erster Schweizer von der Holocaust-Stiftung Yad Vashem als «Gerechter unter den Völkern» geehrt. Auch vom Bundesrat werden die Verdienste 1958 in einem Bericht ausdrücklich festgehalten.

Eine offizielle Würdigung der Verdienste erfolgt aber tatsächlich spät - erst 1995 - zwei Jahrzehnte nach seinem Tod. Heute wäre Carl Lutz 125 Jahre alt geworden.

Regionaljournal Ostschweiz und Graubünden, 30.03.2020; 17:30 ; 

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