5 Uhr, schmutziger Donnerstag. Rund hundert Menschen in weissen Gewändern treffen sich an einer Bushaltestelle im Oberdorf von Erlinsbach. Die Hauptstrasse ist hier auch die Kantonsgrenze: Die Häuser links an der Strasse stehen im Kanton Solothurn, die Häuser rechts an der Strasse im Aargau. Die «Chesslete» in Erlinsbach startet damit an einem Ort, der für die ganze Fasnacht in «Speuz» symbolisch ist.
Der Präsident des Fasnachtskomitees, Andreas Kessler, ist nur mässig zufrieden mit dem Aufmarsch an dieser «Chesslete». «Normalerweise nehmen rund doppelt so viele Leute teil», sagt er. Die Sportferien machen der Erlinsbacher Fasnacht in diesem Jahr einen Strich durch die Rechnung. «Viele Leute sind am Skifahren.» Immerhin: Am lautstarken Umzug laufen einige Kinder mit. «Weil Ferien sind, können wir die Kleinen mitnehmen», erklärt ein Familienvater. «Sonst müssen sie jeweils in die Schule nach der Chesslete.»
In Erlinsbach gilt das Aargauer Schulgesetz – auch in Erlinsbach SO. Denn die Schulen der beiden Gemeinden sind quasi «fusioniert». Es gelten also auch in beiden Dorfteilen die Aargauer Ferienpläne. 2018 sind Sportferien und Fasnacht gleichzeitig, meistens ist das nicht so. Dann fehle die Unterstützung der Schule für die bald 40-jährige Fasnachtstradition im Dorf, so meinen viele Fasnächtler. «In Lostorf müssen die Kinder nach der Chesslete jeweils nur bis 9 oder 10 Uhr in die Schule, dann dürfen sie nach Hause», sagt Andreas Kessler vom Fasnachtskomitee.
Nach einem rund einstündigen Spaziergang quer durch beide Dorfteile kommen die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler auf dem Dorfplatz von Erlinsbach an. Hier steht das Festzelt, wo die weissen Chesslete-Gewänder und die Lärm-Utensilien wie Pauken, Trommeln, Rasseln oder Trillerpfeifen deponiert werden.
Nun werden Gross und Klein vom Fasnachtskomitee mit Mehlsuppe und Brot verpflegt. Erstaunlich: Hinter dem Tresen stehen praktisch nur Aargauer. «Im Fasnachtskomitee hat es aktuell leider keine einzige Person aus dem Solothurner Dorfteil», sagt Präsident Andreas Kessler. Erstaunlich: Denn die Fasnacht ins Leben gerufen haben Ende der Siebzigerjahre natürlich Solothurnerinnen und Solothurner. «Sie haben die Fasnachtstradition begründet, wir Aargauer führen sie weiter», lacht Kessler.
Unter den Teilnehmenden der «Chesslete» sind die beiden Kantone in etwa gleich vertreten. «Die Fasnacht hier ist völkerverbindend, grenzüberschreitend... manchmal auch grenzwertig natürlich», meinen die zum Teil schon am frühen Morgen ziemlich heiteren Gäste. Die konfessionelle Grenze zwischen Erlinsbach AG und Erlinsbach SO spielt keine Rolle mehr. Die Gemeinden arbeiten zusammen, die Fasnacht ist zu einer gemeinsamen Tradition geworden – über die Grenze des Erzbachs hinweg. Im Festzelt hängen denn auch die Flaggen beider Gemeinden – in Eintracht nebeneinander.
Die Fasnacht in Erlinsbach ist der grösste kulturelle Event im gut 7000-Seelen-Dorf (beide Dorfteile zusammen). Damit die Tradition bestehen bleibt, braucht es aber auch ein Erlinsbach dringend Nachwuchs. «Das Fasnachtskomitee organisiert noch eine Fasnacht, dann brauchen wir eine Nachfolge», macht Andreas Kessler klar. Gesucht sind engagierte Menschen, die den Aufwand nicht scheuen. Alleine für die Dekoration im Zelt haben die freiwilligen Helferinnen und Helfer mehrere hundert Stunden Arbeit investiert.
Das Motto der diesjährigen Fasnacht lautet «Narrenfestung Speuz». Höhepunkt ist neben dem Kindermaskenball am Samstag Nachmittag und dem grossen Maskenball am Abend vor allem der Umzug am Sonntag. «Wir erwarten wieder zwischen 8000 und 10'000 Besucherinnen und Besucher», sagt Komitee-Präsident Kessler. Die Fasnacht von «Speuz» ist weit über die Dorfgrenzen hinaus bekannt. Der Umzug ist zudem ein Jubiläumsumzug: Er findet 2018 zum 40. Mal statt.