An den 11. Demokratietagen in Aarau debattierten Interessierte und Experten zu 150 Jahren Demokratie im Kanton Aargau. Kernfrage: Wie bringt man die Menschen in der Schweiz dazu, sich aktiv an der Politik zu beteiligen? Heute stehen dabei vor allem die jungen Bürgerinnen und Bürger im Fokus. Es brauche einen moderneren Staatskunde-Unterricht, fordert die Co-Direktorin des Zentrums für Demokratie. Und kritisiert den Lehrplan 21.
SRF: Vor gut 150 Jahren wurde die Schweiz und der Aargau demokratisch. Damals war der Politiker und Schriftsteller Heinrich Zschokke aktiv. Was war für ihn in der jungen Demokratie das grösste Problem?
Monika Waldis: Zschokke hat schnell betont, dass der Bürger für seine Meinungsbildung lesen können müsse. Es war auch die Zeit der aufkommenden Publizistik.
Andererseits aber dachte Zschokke schon damals weiter, an die Mündigkeit der Bürger. Dass man sie also so ausbilden müsse, damit sie im Staat Verantwortung übernehmen können.
Dazu muss man wissen, wie der Staat funktioniert. Es braucht also den klassischen Staatskunde-Unterricht?
Das braucht es in der politischen Bildung als Grundlage selbstverständlich auch heute noch. Aber man denkt heute die politische Bildung weiter: Dass man mit Schülerinnen und Schülern auch darüber nachdenkt, wie sie sich zivilgesellschaftlich einbringen können. Oder es geht um grosse Fragen und Konzepte wie Macht und Gerechtigkeit.
Ganz konkret ist es ja aber so, dass sich die junge Bevölkerung weniger an Wahlen und Abstimmungen beteiligt. Ist das also ein Demokratie-Defizit?
Nein. Es entspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen, die es schon länger gibt. Ältere Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich eher an der formellen Politik: Sie wählen, stimmen ab, sind Mitglied einer Partei vielleicht.
Die Jungen engagieren sich gesellschaftlich.
Jüngere Menschen sind eher bei informellen Aktivitäten dabei, engagieren sich gesellschaftlich. Sie wollen auf diesem Weg etwas verändern, haben also durchaus auch politische Motive.
Das heisst aber auch, dass junge Menschen politisch interessiert sein können, auch wenn sie nicht abstimmen und wählen?
Der Klimastreik ist ein gutes Beispiel dafür. Diese Aktionen hatten ja sogar einen gewissen Einfluss auf die Wahlen im Kanton Zürich zum Beispiel. Also hatten die jungen Menschen mit ihren informellen Aktivitäten sogar Erfolg. Es ist schön, dass sich junge Menschen so engagieren.
Zurück zur politischen Bildung. Man hört immer wieder, dass Staatskunde und Co. keinen grossen Stellenwert hatte in der Schulzeit. Gibt es zu wenig politische Bildung?
Ich glaube nicht, dass es nicht gemacht wird. Aber vielleicht wird es so gemacht, dass der Transfer ins Leben nicht gemacht wird. Die Schülerinnen und Schüler hören sich das mal an und vergessen es dann wieder.
Die Schüler hören es mal und vergessen es dann wieder.
Ändert das mit dem Lehrplan 21? Rückt die Politik da quasi «näher zum Alltagsleben»?
Die Themen im Lehrplan 21 verleiten eher dazu, dass es sehr stark in diesem Institutionellen verhaftet bleibt. Da sind die Lehrpersonen gefordert. Sie haben ein Gespür dafür, was die Schülerinnen und Schüler bewegt.
Und sie können die Schülerinnen und Schüler dann auf den Weg bringen in Richtung politischer Analyse, politischer Auseinandersetzung, mit konkreten Fragen aus der Alltagswelt.
Ist die direkte Demokratie gefährdet, wenn sich im Bereich politische Bildung nichts tut?
Ich glaube, wir müssen der direkten Demokratie tatsächlich Sorge tragen. Das ist eine Aufgabe, die die Schule übernehmen muss. Früher hatte man vielleicht noch das Gefühl, dass das Elternhaus dies übernimmt. Aber wir sind eine sehr viel heterogenere Gesellschaft heute. Da braucht es einen gemeinsamen Konsens und da kann die Schule ein Fundament schaffen.
Es war wohl Konsens an unserer Tagung, dass es mehr Anstrengungen braucht im Bereich politische Bildung. Und natürlich ist das noch eine grosse Baustelle.
Das Gespräch führe Maurice Velati.