8. März 1970. In Zürich sind Stadtratswahlen. Spezielle Stadtratswahlen. Denn zum ersten Mal dürfen auch Frauen wählen und kandidieren. Ein knappes Jahr, bevor ihnen dieses Recht auch auf nationaler Ebene gewährt wird. Die Zürcherinnen und Zürcher geben den Frauen dann auch prompt eine Stimme. Sie wählen Emilie Lieberherr in die Stadtregierung. Die Sozialdemokratin schafft das viertbeste Resultat.
Vorreiterin in vielen Bereichen
Lieberherr war aber nicht nur die erste Frau im Zürcher Stadtrat, sie leistete auch in anderen Bereichen Pionierarbeit: machte als erste Frau ihres Heimatkantons Uri die Matur und ein Studium, wurde zur ersten Konsumentenschützerin. Und sie brachte die Frauen- und Gleichstellungspolitik massgeblich voran.
Besonders in Erinnerung bleibt der «Marsch auf Bern», eine Protestaktion für die Einführung des Frauenstimmrechts, welche Lieberherr mit initiierte. 5000 Menschen versammelten sich am 1. März 1969 auf dem Berner Bundesplatz. Auf der Tribüne, selbstbewusst im roten Mantel, proklamiert die Frauenrechts-Kämpferin: «Wir stehen hier nicht als Bittende, sondern als Fordernde.»
Ihr Auftritt stiess auf grosses Echo. Und es dauerte nicht lange, bis die Zürcher SP bei Emilie Lieberherr vorstellig wurde. Die Berufsschullehrerin entschloss sich nach anfänglichem Zögern, in den Stadtratswahlkampf einzusteigen und wurde belohnt.
24 Jahre stand die Frauenrechtlerin in Zürich dem Wohlfahrtsamt und späteren Sozialdepartement vor. In ihrer Amtszeit wurden 20 neue Altersheime gebaut, die Alimentenbevorschussung eingeführt, sie war Initiantin der Heroinabgabe an Schwerstsüchtige und beteiligt am Aufbau des Vier-Säulen-Modells der schweizerischen Drogenpolitik.
In ihrer Amtszeit verzehnfachten sich die Ausgaben in ihrem Departement. 1994 trat Emilie Lieberherr mit 70 Jahren als Stadträtin ab. 2011 starb sie im Alter von 86 Jahren.
Ehrung für Lieberherr in der Stadt Zürich
Neun Jahre später kommt das Vorbild vieler Frauen zu besonderen Ehren. Der Zürcher Stadtrat hat beschlossen, einen Platz im Langstrassenquartier nach ihr zu benennen. Der Platz, der im Volksmund «Denner-Platz» genannt wird, heisst neu «Emilie-Lieberherr-Platz».
Dieser Schritt geht zurück auf einen Vorstoss aus dem Parlament. Eingereicht haben ihn die beiden grünen Gemeinderätinnen Katharina Prelicz-Huber und Elena Marti. Letzere ist mit 25 Jahren aktuell die jüngste Frau im Zürcher Stadtparlament.
Die meisten ihrer Generation, so Marti, wüssten nicht mehr, was Lieberherr alles getan habe. Darum sei es speziell wichtig, dass sie verewigt werde, das helfe, um sich zu erinnern.