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Friedensforschung Wie Kriege enden

Noch nie war die Zahl bewaffneter Konflikte grösser als heute. In über 130 Konflikten weltweit lassen Menschen Waffen sprechen. Wie kommen Kriege nicht nur zu einer Pause, sondern zu einem definitiven Ende?

Bewaffnete Konflikte haben Muster, so unberechenbar sie erscheinen mögen. Sie verlaufen nie wie geplant, und sie enden kaum je mit einem Sieg. Das Versprechen vom kurzen Krieg und schnellen Sieg ist im 20. Jahrhundert fast schon der Normalfall. Leicht abgegeben, selten eingelöst.

Friedensforscherin Sara Hellmüller vom Center for Security Studies der ETH Zürich sagt: «Wenn ein Krieg ausbricht, werden Verhandlungen oder informelle Gespräche immer sofort geführt. Das geschieht vor allem, um zu sehen, wo der Gegner steht.»

Erster Monat ist entscheidend

Trotzdem ist der erste Monat die beste Zeit, um über das Schweigen der Waffen zu verhandeln. Die Parteien testen, wie ernst es dem Gegner ist. Wird dieser Moment verpasst, dauern Konflikte oft sehr lange. Im Schnitt vergehen vier Jahre, bis sich ein neues Fenster für Verhandlungen öffnet.

«Auch im Ukraine- und Russlandkonflikt fehlt es an der Einsicht, dass Verhandlungen zielführend sein können. In der Ukraine wird oft davon gesprochen, dass man keinen Frieden will, sondern einen Sieg. Dasselbe in Russland.»

Gepanzerter Panzerwagen auf einer ländlichen Strasse.
Legende: Russland und die Ukraine wollen laut Friedensforscherin Hellmüller beide einen militärischen Sieg, sie wollen keinen Frieden. Reuters/Viacheslav Ratynskyi 813.08.2024)

Je länger Konflikte dauern, desto seltener enden sie mit einem Friedensabkommen. Stattdessen frieren sie ein. So zeigt die Forschung laut Hellmüller: «Konflikte können nie rein militärisch gelöst werden. Solange man nicht auch das politische Dach zu diesem Haus des Friedens hat, ist es nicht gelöst.»

Langjährige Konflikte und Wiedergänger

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In die Gruppe eiskalter Entfremdung gehören zum Beispiel der Bergkarabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, der Taiwan-China-Konflikt oder die seit über 70 Jahren andauernde Eiszeit auf der koreanischen Halbinsel, wo sich der Norden und der Süden formal noch immer im Krieg miteinander befinden.

Die meisten Konflikte sind Wiedergänger, wie in Afghanistan, im Kongo, in Äthiopien, in Myanmar oder Haiti, im Sudan oder im Nahen Osten. Kriege folgen auf Kriege. Laurent Goetschel, Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace, erklärt: «Der zuverlässigste Indikator für einen Kriegsausbruch ist immer noch der vorangehende Krieg.»

Asymmetrische Auseinandersetzungen – Konflikte zwischen ungleich grossen, starken oder agierenden Parteien – ziehen sich oft extrem lange hin. Dann, wenn die vermeintlich stärkere Konfliktpartei militärisch nicht gewinnen kann, aber Zeit und Leben braucht, um sich dies einzugestehen.

«Je länger ein Krieg dauert, umso schwieriger kann es werden, die Bevölkerung für eine Verhandlungslösung zu gewinnen, weil sehr viele Opfer zu beklagen sind», sagt Laurent Goetschel, Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace. Sind die Freunde, Väter, Brüder, Kinder, Schwestern, Mütter für einen Kompromiss gestorben?

Reihen von Grabsteinen auf einem Friedhof, Los Angeles National Cemetery.
Legende: Das bekannteste Beispiel von asymmetrischen Auseinandersetzungen ist der Vietnamkrieg. Auch der Krieg in der Ukraine und der Israel-Palästina-Konflikt gehören in diese Gruppe. Hohe Opferzahlen machen es Politikern zusätzlich schwer, Konzessionen vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen. (im Bild: Los Angeles National Cemetery) Reuters/Lucy Nicholson (Symbolbild/11.11.2020)

«Auf der anderen Seite kann es zu einer sogenannten Kriegsmüdigkeit kommen, sodass man deswegen den Weg an den Verhandlungstisch findet», so Goetschel.

Die Friedensforschung zeigt, dass Exklusion längerfristig oft zu mehr Gewalt führt.
Autor: Sara Hellmüller Friedensforscherin

Der Weg zum Frieden ist lang und wird vor Verhandlungen oft nochmals besonders blutig. Die Konfliktparteien demonstrieren ihre Macht. Trotzdem: Der Weg zu einem dauerhaften Frieden führt immer über Verhandlungen, und zwar Verhandlungen zwischen sämtlichen Konfliktparteien, auch den extremen.

«Die Friedensforschung zeigt, dass Exklusion längerfristig oft zu mehr Gewalt führt.» Das Credo, nicht mit Terroristen zu verhandeln, führe langfristig auch nicht zu mehr Sicherheit, sagt Hellmüller.

Frieden soll allen mehr bringen als Krieg

Das kann sehr bitter sein für die Opfer, für die Menschen, die Kinder verloren haben, Partnerinnen, Freunde, Nachbarn. Ein guter Frieden produziert keinen alleinigen Sieger. Unter dem Strich soll der Frieden allen Parteien mehr bringen als ein Krieg. Sind die Verträge unterzeichnet, geht der Friedensprozess weiter. Im Leben jenseits der Schlachtfelder.

Den Schmerz seines Gegners zu sehen, kann den eigenen Schmerz lindern. Und erleben, dass Kriegsverbrechen geahndet und Kriegsverbrecher verurteilt werden, ebenfalls. Ohne Gerechtigkeit kein dauerhafter Frieden. Auch dies zeigen Geschichte und Wissenschaft.

Echo der Zeit, 16.08.2024, 18 Uhr;kobt

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