Der Historiker Jonathan Pärli zeigt auf, dass Verschärfungen im Asylrecht langfristig auch die Rechte der Bürgerinnen und Bürger untergraben können. An Beispielen aus den USA und der Schweiz wird demnach deutlich, wie autoritäre Praktiken aus der Migrationskontrolle in die Gesellschaft hineinwirken. Er warnt, dass der Schutz der Demokratie gefährdet ist, wenn Staaten im Namen der Sicherheit rechtsstaatliche Prinzipien aufweichen.
SRF News: Warum betrifft die Asylpolitik auch Menschen, die selbst nie Asyl beantragt haben?
Jonathan Pärli: Oft denkt man: Das betrifft mich nicht, ich bin Bürgerin oder Bürger dieses Landes. Doch Entwicklungen im Asyl- und Migrationsbereich können sich auf die ganze Gesellschaft auswirken. Besonders Regelungen gegen Menschen mit dem niedrigsten rechtlichen Status greifen oft später auf andere Gruppen über. In diesem Sinn kann der Migrationsbereich zum Einfallstor für autoritäre oder regressive Tendenzen werden, die letztlich alle betreffen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, wie strenge Migrationspolitik nach innen wirkt?
Ein gutes Beispiel ist eine Kampagne der SVP aus dem Jahr 2015. Damals forderte die Partei, die Sozialhilfe generell auf das Existenzminimum zu kürzen – konkret auf 12 Franken pro Tag. Was kaum kommuniziert wurde: Dieser Betrag stammt ursprünglich aus der Nothilfe für abgewiesene Asylsuchende und wurde vom Bundesgericht als unterste Grenze festgelegt. Diese Regelung wurde aus dem Migrationsbereich in die allgemeine Sozialpolitik übertragen – ohne klar zu sagen, woher sie stammt. So zeigt sich, wie migrationspolitische Verschärfungen langfristig auch die Rechte der übrigen Bevölkerung beeinflussen können.
Der Umgang mit undokumentierten Migrantinnen und Migranten wird in den USA als Warnsignal für eine Gefährdung der bürgerlichen Rechte verstanden.
Sie beobachten auch die strikte Migrationspolitik in den USA und schauen dafür regelmässig amerikanische Late-Night-Shows. Warum?
Mir ist aufgefallen, dass sich die Diskussion stark verändert hat. Früher war Migration eine juristische Frage – legal oder illegal. Seit der zweiten Amtszeit von Donald Trump geht es vermehrt um die Frage: Was bedeuten diese Gesetze für unsere Freiheit? Die Late-Night-Hosts warnen zunehmend vor einem autoritären Wendepunkt. Der Umgang mit undokumentierten Migrantinnen und Migranten wird als Warnsignal für eine Gefährdung der bürgerlichen Rechte verstanden. Das wird heute ganz anders diskutiert als noch vor ein paar Jahren.
Trump wurde aber auch wegen seiner harten Migrationspolitik gewählt.
Genau hier liegt das Risiko. Was passiert, wenn Bürgerinnen und Bürger, die diese Härte forderten, selbst unzufrieden werden und demonstrieren? Können sie dann noch auf ihre verfassungsmässigen Rechte zählen – oder trifft sie plötzlich dieselbe staatliche Härte? Bei den Black-Lives-Matter-Protesten setzte Trump den Grenzschutz gegen die eigene Bevölkerung ein. Instrumente aus der Migrationspolitik wurden so gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger gewendet.
Es entsteht ein moralisch aufgeladener Diskurs, der Menschen abwertet – zuerst Asylsuchende, dann auch andere verletzliche Gruppen.
Sie vergleichen diese Tendenzen auch mit Entwicklungen in der Schweiz. Was stellen Sie fest?
Auch hierzulande wird die Sprache der Migrationspolitik auf andere Bereiche übertragen. Nach dem Begriff «Asylmissbrauch» folgten bald «Sozialhilfemissbrauch» oder «Missbrauch der Arbeitslosenversicherung». Es entsteht ein moralisch aufgeladener Diskurs, der Menschen abwertet – zuerst Asylsuchende, dann auch andere verletzliche Gruppen.
Das Gespräch führte David Karasek.