Ein junges Paar bricht zu einem Trip durch die USA auf, ein paar Wochen später wird die junge Frau tot in einem Nationalpark gefunden. Ihr Freund ist verschwunden. Die Geschichte von Gabby Petito beschäftigt nun Menschen und Medien weltweit.
Der Boulevard überschlägt sich mit Meldungen zum mysteriösen «Mordkrimi». Und das Internet dreht geradezu durch. Im Netz versuchen Millionen Hobby-Detektive, den Fall zu lösen – auch in der Schweiz war der Name des mutmasslichen Mordopfers kurzzeitig der meistgesuchte Begriff bei Google.
Dabei spielte sich die Bluttat im fernen Amerika ab, und keine der beteiligten Personen war im Vorfeld einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
Warum erregt der mutmassliche Mordfall eine solche Aufmerksamkeit, und was sind die Zutaten, damit eine Geschichte viral geht? Mit eben diesen Fragen beschäftigt sich auch der Medienwissenschaftler Guido Keel. Er sagt: «Es braucht eine gute Geschichte, genügend Informationen, eine gewisse Kontroverse, die den Fall spannend macht – und ein Mass an Aussergewöhnlichem.» All das ist im Fall Gabby Petito zweifelsfrei gegeben.
Mittendrin statt nur dabei
Der Fall findet auch Beachtung, weil das Paar aus Florida zahlreiche Bilder und Videos von seiner Reise in sozialen Netzwerken teilte. Das mache das Opfer auch greifbar und schaffe emotionale Nähe, sagt SRF-Digitalredaktor Jürg Tschirren. «Es war eine junge, gutaussehende Frau, ein tragisches Opfer. Auch, dass der eigene Freund als Täter verdächtigt wird, ist attraktives Futter – auch für die klassischen Medien.»
Dass etwa die Ermordung eines älteren schwarzen Obdachlosen ähnliche «Viralität» erlangen könnte, bezweifelt Tschirren.
Schliesslich befeuerten auch die Aufrufe nach Hinweisen auf Gabbys Verschwinden, die ihre Eltern in sozialen Medien lancierten, die weltweite Verbreitung des Falls.
Jede und jeder konnte also zuhause den Aufruf sozial teilen und so das Gefühl haben, bei einer guten Sache mitzumachen, erklärt Tschirren. «Und das ohne, dass man tatsächlich viel leisten muss. Im politischen Kontext wird das auch leicht abschätzig als ‹Hashtag-Aktivismus› bezeichnet.»
Die Grenzen des guten Geschmacks
Im Fall der vermissten Gabby sprangen auch klassische Medienportale auf und verstärkten so den Hype. Für Medienwissenschaftler Keel ist das auch nicht problematisch, solange berufsethische Grundregeln wie wahrheitsgemässe Berichterstattung oder die Persönlichkeitsrechte der Angehörigen nicht verletzt werden. «Und wir wollen in den Medien auch Geschichten konsumieren, die uns packen, faszinieren und vielleicht auch vom Alltag ablenken.»
Für Keel werden durch die Berichterstattung über spektakuläre Kriminalfälle auch Fragen von Gut und Böse verhandelt – und in dieser Debatte würden gesellschaftliche Normen ausgehandelt. Fragwürdig werde es aber dann, wenn Medien nur noch mitreissen und schockieren möchten und ihre Informationspflicht vernachlässigten. «Wenn das Gleichgewicht nicht mehr gegeben ist, wird es problematisch», schliesst Keel.