Der Grenzzaun zwischen Kreuzlingen (TG) und Konstanz (D): Ein prominentes Beispiel für die einschneidenden Corona-Massnahmen im vergangenen Jahr. Aufgestellt, als die Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland zuging. Plötzlich trennte ein Zaun die beiden Städte, die längst zusammengewachsen sind.
Familien, Paare, Kolleginnen, Kollegen konnten sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr treffen. Jetzt, ein Jahr später, steht der Zaun wieder – aber nicht als Grenze, sondern als Ausstellung mit Erinnerungen von Betroffenen.
Die Betroffenen
Zu den Betroffenen der plötzlichen Grenzschliessung gehörten im vergangenen Jahr Doris Hoevel und Wolf-Dieter Krause. Sie wohnt in der Schweiz, er in Deutschland. Die beiden sind nicht verheiratet, deshalb wurde das Paar durch den Grenzzaun getrennt.
Am Abend der Ankündigung waren sie noch zusammen in St. Gallen. Dem gebürtigen Berliner stellten sich damals ganz viele Fragen – beispielsweise, ob er je wieder über die Grenze kommt. Deshalb reiste er noch in der Nacht nach Deutschland ab. «Das Beklemmende daran war, dass wir nicht wussten, ob wir uns jemals lebend wiedersehen würden», sagt Doris Hoevel im Rückblick.
Die Erinnerungen
Der erste Zaun wurde im vergangenen Jahr Mitte März aufgebaut. Weil sich danach immer noch viele Leute dort trafen und Körperkontakt hatten, wurde Anfang April im Abstand von zwei Metern ein zusätzlicher Zaun aufgestellt. Sechs Wochen lang waren die beiden Städte vollständig getrennt.
Die Treffen am Grenzzaun waren immer streng überwacht. Hautnah miterlebt hat dies Heike Brüning. Sie wohnt mit ihrem Mann in der Schweiz, der Rest der Familie in Konstanz. «Reiter patrouillierten, damit man ja nichts über den Zaun schmiss oder sich irgendwie zu nahe kam. Es war eine bedrückende Situation», erinnert sie sich.
Die Situation erinnerte auch an den Zweiten Weltkrieg, als die beiden Städte letztmals durch einen Zaun getrennt waren.
Damals dauerte die Abriegelung ganze sechs Jahre lang. Der Zaun wurde errichtet, um die Flucht von Juden in die Schweiz zu verhindern. Auch nach dem Krieg blieb der Zaun bis 2006 teilweise erhalten. Nach seinem Abbau entstand mit den Skulpturen Johannes Dörflingers eine «Kunstgrenze». Zu Fuss oder mit dem Fahrrad war der Grenzübertritt seither auf der gesamten Länge vom See bis zu den Bahngleisen möglich. Kaum jemand rechnete damit, dass sich dies wieder ändern könnte.
Die Ausstellung
Bis am 29. August erinnert eine Ausstellung sowohl an die Grenzschliessung im Zweiten Weltkrieg als auch im vergangenen Corona-Jahr. Sie erzählt persönliche Geschichten von der Trennung der beiden Städte. Auch Heike Brüning erzählt dort ihre Geschichte. Sie habe die Ereignisse noch nicht verarbeitet. Die Ausstellung solle ihr dabei helfen. «Die Trennung sitzt immer noch tief», sagt sie.
Die Ausstellung mitorganisiert hat die Kreuzlinger Stadträtin Dorena Raggenbass. Dass die beiden eng verwachsenen Städte je getrennt werden könnte, hätte sie sich nie vorstellen können. «Hoffentlich passiert es nie wieder», sagt sie. Aber man wisse nie – das habe das vergangene Jahr vor Augen geführt.
Wenn nun aber vorübergehend wieder ein Stück Grenzzaun installiert worden ist zwischen Kreuzlingen und Konstanz, dann nicht um die Menschen zu trennen, sondern um sie mit einer Ausstellung zusammenzuführen. Zu besichtigen ist sie auf der sogenannten Kunstgrenze auf dem Gelände Kleinvenedig.