Zwei Drittel aller Erdbeben von Taiwan finden in der Hauptstadt statt – und trotzdem wurde in Taipeh ein Megaturm gebaut. Beim Bau gingen die Architekten, Ingenieure und Statiker an die Grenzen des Machbaren. Der Taipei 101 ist deshalb auch ein patriotisches Monument. 101 Stockwerke und 508 Meter purer Nationalstolz.
Wir wollten ein Gebäude schaffen, das die Menschen stolz macht.
C. Y. Lee, der Architekt des Turm glaubt an die Emotionalität von Gebäuden, daran, dass Wolkenkratzer mehr sind als die Errungenschaften von Ingenieuren. Der Taipei 101 gebe der Stadt ihre Identität. «Wir wollten ein Gebäude schaffen, dass die Menschen stolz macht, dazu ist es wichtig, dass die Form des Turms unsere Kultur und unsere Lebensphilosophie repräsentiert», sagt der renommierte Architekt.
Nach sechsjähriger Planungs- und Bauzeit stand die Megastruktur. Eine Herausforderung war aber auch der Untergrund. Wo der Taipei 101 steht, war einst ein Flussgebiet, der Untergrund ist weich. Der Turm wurde auf 557 Betonpfeilern errichtet, die bis zu 80 Meter tief in die Erde reichen.
Der Bau steht an einer kritischen Stelle. 200 Meter vom Turm entfernt verläuft eine tektonische Bruchlinie, wo sich die Eurasische und die Philippinische Kontinentalplatte übereinander schieben. Fast täglich erzittert hier der Boden.
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Bild 1 von 8. Der Taipei 101 ist einer Pagode nachempfunden. Elf achtstöckige Einheiten sind aufeinander gesetzt. Acht Stahlpfeiler stützen die Aussenwände. Sie sind zwei Mal drei Meter dick. Dazu wurden in jeder achten Etage Querstreben gezogen, die den Kern mit den Pfeilern zu einem stabilen Tragskelett verbinden und jeweils eine ganzes Stockwerk füllen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 8. Das Gebäude gleicht somit in Anblick und Eigenschaften einem Bambus. Beim Bambusrohr sind die Hohlräume auch unterteilt durch Einschnürungen. Dadurch ist der Bambus flexibel und stabil zugleich. So soll der Turm Erdstössen und Stürmen standhalten, die in der Taifunsaison mit weit über 200 km/h über die Inseln fegen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 8. Lichter aus! Rechtzeitig zur «Earth Hour» vom 26. März 2011 knipste auch der Taipei seine Lichter aus, wie die Kombination der Bilder vor und während der Stunde der Erde zeigt. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 8. Das Hochhaus will auch ein wirtschaftlicher Erfolg sein. In den ersten fünf Stockwerken befindet sich ein riesiges Shoppingzentrum. 15'000 Einkaufswillige besuchen täglich die klimatisierte Glitzerwelt. Bis zum 84. Stock sind lokale und internationale Firmen und die Börse von Taipeh eingemietet. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 8. Zwischen dem 87. und dem 92. Stock hängt der grösste Schwingungsdämpfer der Welt. An 16 Stahltrossen aufgehängt schwingt das 660 Tonnen schwere Pendel als Ausgleich im Gegentakt bei Sturm und Erdbeben. Vier überdimensionierte Stossdämpfer verhindern, dass die Kugel ausser Kontrolle gerät. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 8. Auch die Fenster müssen glänzen: Zwölf Spezialisten sind das ganze Jahr im Einsatz, um die 130‘000 Quadratmeter der grünen Glasfassade durchsichtig zu halten. Die Fenster stehen in einem Sieben-Grad-Winkel. Dafür sind spezielle Maschinen nötig. Je nach Neigungswinkel der Fassade wird der Arm des Gerätes ausgefahren. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 8. Die Fassade muss einem Winddruck von 1,4 Tonnen pro Quadratmeter standhalten. Die Gebäudekanten wurden abgestuft, um die Kraft des Windes, wenn er um die Ecken fegt, zu brechen. Jeden Morgen misst der Chef der Fensterputzer die Windgeschwindigkeit. Bei über acht Metern pro Sekunde gehen die Männer nicht raus. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 8. Der Turm wird gerne für Festivitäten aller Art genutzt. Am 1. Januar 2012 explodierten während der Neujahrsfeier unzählige Feuerwerke. Bildquelle: Reuters.
Evakuierungszonen für Notfälle
2004 wurde der Turm eingeweiht. Er was damals das höchste Gebäude der Welt. Der Chefingenieure sagt heute: «Wir hätten den Turm auf diesem Untergrund und mit diesem geologischen Verhältnissen nicht höher bauen können.»
Für Notfälle befindet sich in jedem achten Stock ein Fluchtraum. Diese Räume haben verstärkte Wände und Decken. Bei einer Katastrophe warten die Menschen in den Evakuierungszonen, um keine lebensgefährliche Staus in den Fluchttreppenhäusern auszulösen.
Herausforderung gibt es auch beim Betrieb. Ein logistisches Meisterwerk ist das vor allem für die Restaurants im Taipei 101, die Lebensmittel wegen Platzmangel unterirdisch lagern. Alles muss irgendwie einen halben Kilometer hinauftransportiert werden – und das zur richtigen Zeit. Im 86. Stock liegt das berühmte Xing Dang Restaurant.
Lobster sterben an Höhenkrankheit
In 11 Räumen werden hier täglich 1000 Gäste festlich verköstigt. Serviert werden vor allem Fische und Meeresfrüchte. Doch die Spezialität des Hauses – Lobster – bereitet dem Chef auch die grössten Kopfschmerzen. Denn beim schnellen Transport in die Höhe erleiden die Meerestiere einen Schock – 10 Prozent sterben an Höhenkrankheit. Das ist einkalkuliert im Budget.
In einem speziellen Aquarium wird der Wasserdruck 508 Meter über Boden gleich gehalten wie im Meer, damit sich die Tiere wie zu Hause fühlen.