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Utopie einer Welt ohne Flugzeuge
Aus 10 vor 10 vom 27.04.2023.
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Ihre Fragen zum Flugverkehr Was wäre, wenn ab morgen niemand mehr fliegen würde?

Fliegen ist klimaschädlich. Sofort damit aufzuhören, hätte immense wirtschaftliche Folgen, sagt ein Aviatikexperte.

Der Flugverkehr sei eines der Sorgenkinder des Klimaschutzes, sagen Expertinnen und Experten. «Der CO₂-Ausstoss der Fliegerei macht weltweit etwa zwei bis drei  Prozent aus. Mit den indirekten Effekten wie Russ- und Kondensstreifen sind wir bei 5 Prozent», sagt Reto Knutti, Klimaforscher an der ETH Zürich.

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Wie kam es zur Sendung: Was wäre wenn?
aus Morgengast vom 28.04.2023. Bild: srf
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Das töne nach relativ wenig. Aber das Wachstumspotenzial sei riesig, betont Knutti: «In der Schweiz sind das schon 20 Prozent. Wenn alle so viel fliegen möchten wie wir in der Schweiz, dann wären das riesige Zahlen.»

In der Tat benutzen jährlich nur 11 Prozent der Weltbevölkerung ein Flugzeug. Da der wohlhabende Mittelstand in vielen Ländern wächst, wächst auch die Zahl der Vielfliegerinnen und -flieger – und damit der CO₂-Ausstoss.

Kraftstoff-Alternativen problematisch

Beim Auto versuchen die Technikverantwortlichen fieberhaft, neue Antriebsmotoren zu entwickeln. Der Fortschritt bei Elektroautos ist rasant.

Doch in der Fliegerei sei das nicht so einfach, sagt Knutti. «Es gibt biologische Treibstoffe, zum Beispiel aus Zuckerrohr. Die sind aber problematisch, weil wir damit die Nahrungsmittelversorgung konkurrieren.»

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«Was wäre, wenn…» nicht mehr geflogen würde?
aus Treffpunkt vom 28.04.2023. Bild: Keystone/Christian Beutler
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Daneben gibt es noch synthetische Treibstoffe aus Sonnenlicht oder Strom. «Diese wären im Prinzip dann CO₂-neutral», sagt der Klimaforscher. Allerdings seien diese im Moment sehr teuer und nur in kleinsten Mengen verfügbar.

Wirtschaft würde auf den Kopf gestellt

Deshalb verzichten viele Leute bewusst aufs Fliegen und wählen andere Fortbewegungsmittel. Was wäre nun, wenn morgen alle Menschen aufs Fliegen verzichten würden? Wenn global kein einziges Flugzeug mehr abheben würde?

Die wirtschaftlichen Auswirkungen wären immens, sagt Michael Weinmann, Hobbypilot und SRF-Aviatikexperte. «Es arbeiten um die 27’000 Menschen am Flughafen Zürich. 8000 alleine bei der Swiss.» Diese wären alle auf den nächsten Tag arbeitslos.

Ein Flugzeug fliegt über der Landebahn, im Hintergrund sind schneebedeckte Alpen zu sehen.
Legende: Schneebedeckte Alpen hinter dem Flughafen Zürich. Imago/imageBROKER/Arnulf Hettrich

Die Firmen würden Konkurs gehen und liquidiert werden. Gleichzeitig würde das einen Flächenbrand auslösen: «Es verlieren nicht nur die Leute, die bei einer Fluggesellschaft oder am Flughafen arbeiten, ihren Job. Sondern es würde sich auf ganz viele andere Branchen auswirken», sagt Weinmann.

Auch global würde die ganze Wirtschaft auf den Kopf gestellt, so der Aviatik-Experte. Der Übersee-Tourismus würde über Nacht einbrechen: Die Malediven wären plötzlich wieder ein Fischerdorf.

Auch wertvolle und verderbliche Waren, wie zum Beispiel Medikamente, müssten plötzlich mit dem Schiff transportiert werden, ergänzt Weinmann. Waren, zum Beispiel Handys, müssten wieder dort hergestellt werden, wo sie gebraucht werden – und nicht in China.

Kaum realistisch, dennoch nützlich

Diese Beispiele zeigen, dass ein totaler Flugstopp kaum realistisch ist. Die Gedankenexperimente könnten trotzdem nützlich sein, meint Klimaforscher Knutti. Die Pandemie habe aufgezeigt, dass auch grosse Veränderungen – wenn nötig – in sehr kurzer Zeit realisierbar seien.

Expertinnen und Experten haben Ihre zusätzlichen Fragen zum Thema beantwortet. Vielen Dank für Ihre spannenden Fragen und Gedanken.

Gäste im News-Chat

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Ulrike Lohmann
Klimaforscherin und Professorin für Atmosphärenphysik
Institut für Atmosphäre und Klima, ETH Zürich

Florian Egli
Oberassistent und Dozent an der ETH Zürich und der Universität St. Gallen
Energy and Technology Policy Group, ETH Zürich

Michael Windisch
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Institut für Atmosphäre und Klima, ETH Zürich

Julien Anet
Leiter der Gruppe «Meteorologie, Umwelt und Luftverkehr» am Zentrum für Aviatik
Zentrum für Aviatik

«Was wäre, wenn?»: Neue SRF-Rubrik

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In der neuen multimedialen Rubrik «Was wäre, wenn?» will SRF Zukunftsszenarien ausleuchten. Wir greifen jeweils ein gesellschaftliches Thema auf und gehen in einem Gedankenexperiment von einer radikalen oder überraschenden Entwicklung aus. «Was wäre, wenn wir uns morgen alle vegan ernähren würden?» oder «Was wäre, wenn morgen alle Krankheiten heilbar wären.» Dieser Ansatz soll helfen, Entwicklungen in der Zukunft besser zu antizipieren. SRF begleitet das jeweilige Thema während rund 24 Stunden im Internet, am Radio und am Fernsehen. SRF lädt seine Zuschauerinnen, Zuhörerinnen und User ein, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Chat-Protokoll:

Wichtiges Thema, danke! Was sagen die Experten zu folgenden Aussagen: 1. Ein befreundeter Ingenieur hat berechnet, dass, wenn nur schon der in der Schweiz getankte Flugtreibstoff durch Synfuel ersetzt werden sollte, das Äquivalent von mehr als 7 Atomkraftwerken an nachhaltig produzierter Energie nötig wäre. Und diese Zahlen wären in den Netto-Null-Szenarien noch gar nicht berücksichtigt. 2. Flugtreibstoff ist global noch immer nicht besteuert, dadurch viel zu billig und bezahlt deshalb die durchs Fliegen verursachten Umweltschäden auch nicht annähernd. Ich freue mich auf kompetente Antworten! Vielen Dank!

Julien Anet: «Danke für Ihre Frage. Zu 1: In der Schweiz betrug vor der Corona-Pandemie der Treibstoffverbrauch (in der Schweiz vertankt) ca. 2.3 Mia. L Kerosin. Möchte man dieses Treibstoffvolumen durch Synfuels ersetzen, wäre nach heutigem Stand der sogenannten «Power-to-Liquid» (Synfuel) Technik in der Tat eine elektrische Dauerleistung von ca. 10-14 GW nötig. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Gösgen liefert eine elektrische Dauerleistung von knapp 1.1 GW. Im Schweizer «Netto-Null-Szenario» schlägt der Bundesrat vor, die Emissionen des internationalen Luftverkehrs einzubeziehen. Um die Emissionen aus dem Sektor Luftverkehr zu reduzieren, werden verschiedene Wege verfolgt: Ein Teil der «nachhaltigen Flugtreibstoffe» (SAF) soll aus biogenen Quellen produziert werden (z.B. Holzabfälle, Gülle). Ein anderer Teil des SAFs wird aus elektrischer Energie erzeugt werden, wobei aus Kostengründen der grösste Teil der Synfuel-Produktion ins Ausland verlagert werden wird – womöglich dank Schweizer Innovation. Ein letzter Teil der Emissionen wird durch neue Antriebstechnologien (elektrische Antriebe, eventuell sogar Wasserstoff) und anderen Optimierungen eingespart werden können. Zu 2: Flugtreibstoffe werden für Inlandflüge besteuert, nicht aber für internationale Flüge.»

Ich habe gehört oder gelesen (leider weiss ich nicht mehr, wo das behauptet wird), wenn man sämtliche Emissionen auf null stellen würde, quasi die Welt auf Reset stellen, bei Null anfangen würde, trotzdem etwa 14 Jahre gehen bis sich die Welt erholt hätte. Was ist an dieser Theorie dran und wo wurde sie, wenn überhaupt verbreitet. Herzlichen Dank für die Antwort

Julien Anet: Ein «Reset» würde leider deutlich längere Zeit in Anspruch nehmen. In dieser Hinsicht ist das Erdklima vergleichbar mit einem grossen Containerschiff: Wird bei voller Fahrt der Schiffsmotor abgestellt, geht es sehr lange, bis das Schiff vollständig stillsteht. Ähnlich sieht es beim Erdklima aus: Wird von heute auf morgen jegliche Treibhausgasemission unterbunden, kann es bis zu 50 Jahre gehen, bis sich die Temperatur nicht weiter erhöht. Im Anschluss darauf benötigt das Klimasystem wiederum Jahrhunderte, bis das CO₂ wieder vollständig entzogen ist, und somit sich die Atmosphäre wieder in einem vorindustriellen Zustand befindet.

Eine Frage wurde leider unpräzise beantwortet. In der Schweiz gehen 20% des CO2 Ausstosses auf Kosten der Fliegerei. Natürlich bezieht sich das auf das Flugverhalten unserer Landesleute. Wieviel CO2 wird über die internationalen Flüge ausgestossen?

Michael Windisch: Weltweit betragen die CO2 Emissionen aus Flügen nur 2-3%. Schweizerinnen und Schweizer fliegen demnach deutlich häufiger als der globale Durchschnitt. Die grosse Mehrheit der Menschen fliegt weniger als einmal im Jahr oder sogar gar nie.

Ich frage mich, wie lange unsere Journalisten den Klimawandel missbrauchen, um jede Links – Grüne Idee zu veröffentlichen. Die Schweiz macht 0,1 % vom CO₂ Ausstoss, schaut in die USA, China, Russland, Indien usw. was dort abläuft. Hört endlich auf damit, den Menschen Angst zu machen, mit Euren Behauptungen, Statistiken etc., das Klima hat sich schon mehrmals geändert, ohne Flieger, Motoren etc. Was es nicht gab: Politikerinnen und Politiker sowie jede Menge Journalisten, die sich als Experten ausgeben, obwohl nur wenig Wissen da ist, damit sich aber eine goldene Nase verdienen.

Julien Anet: Sie sprechen hier die sogenannten «direkten Emissionen» an: Emissionen, welche in der Schweiz verursacht wurden. Diese machen in der Tat etwas weniger als 0.1 % der globalen Emissionen aus. Das Bild ändert sich hingegen, wenn die in die Schweiz importierten Güter in dieser Rechnung berücksichtigt, werden: Dann hat die Schweiz auf 2-3 % der weltweiten Emissionen einen grossen Einfluss (z.B. im Rahmen der häufig erwähnten «grauen Energie»).

Gibt es Esswaren, die eingeflogen werden. Und falls ja, wird das entsprechend von den Grossverteilern (Migros, Coop) gekennzeichnet?

Julien Anet: Sofern ich richtig informiert bin, kennzeichnet Migros Früchte & Gemüse, welche per Luftfracht importiert wurden, mit einem «By Air"-Logo. Auch Coop beschriftet solche Produkte konsequent und transparent mit einem Hinweis auf Flugimport.

Wie haben sich die Flugpreise (absolut und in Relation zum Lohn) in den letzten 30 Jahren verändert? (Zum Beispiel für einen Retourflug nach New York, Istanbul und London)

Julien Anet: Laut einer Studie aus dem Jahre 2015 hat sich der Preis für ein Retour-Flugticket von London nach New York zwischen 1950 und 2010 von 6500 $ auf 800 $ reduziert (kaufkraftbereinigt).

Welchen Anteil machen Schnittblumen und Nahrungsmittel aus, die per Flugzeug unterwegs sind?

Julien Anet: Eine genaue CO₂-Emissionsmenge ist schwierig zu nennen. Allerdings existiert eine Studie der Cranfield University zu Schnittblumen: Möchte man 12'000 Rosen in Kenia produzieren, werden damit ca. 2'200 kg CO₂ emittiert. Eine äquivalente Menge Rosen in den Niederlanden zu produzieren, schlägt mit 35'000 kg CO₂ zu Buche, da zusätzliche Energie für den Anbau notwendig ist (z.B. Treibhäuser). Berücksichtigt man den Lufttransport nach Europa, ist eine Rose aus den Niederlanden laut Studie knapp 6-mal so emissionsintensiv wie eine Rose aus Kenia ... Dies zeigt: Bei der Betrachtung von Emissionen und/oder der Klimaschädlichkeit einer Blume/Früchte/Gemüsekaufs muss jeweils die gesamte Produktions- und Transportkette berücksichtigt werden!

Es ist unerträglich, dass die Einen sich einschränken müssen, weil sie das Ausmass der Klimakrise sehen und andere sich nicht darum kümmern und frisch fröhlich weiterhin mit dem Flugzeug in die Ferien verreisen. Dies notabene unabhängig vom Bildungsstand. Also auch Leute, die um die Notsituation und Zusammenhänge Bescheid wissen, verhalten sich egoistisch. Die Einschränkung der pro Kopf verfügbaren Flugmeilen müsste nun so rasch als möglich eingeführt werden (z.B. eine definierte Anzahl Meilen pro 5 Jahre). Wie sieht es auf der Gesetzesebene aus? Wäre bereits heute die Gesetzesgrundlage gegeben, dass der Bund auf die Klimanotlage reagiert und unser Flugverhalten einschränkt? Falls nein, was müsste dafür geschehen?

Julien Anet: Sie schlagen eine interessante Lösung vor, welche auf eine Limitierung der Mobilität hinausläuft. Andere Möglichkeiten, wie z.B. eine Rationierung in Energieeinheiten [MJ/Jahr], wurden ebenfalls bereits andiskutiert. Meiner Meinung nach hat aber eine solche Einschränkung nur dann reelle Chancen, wenn sie weltweit angewendet würde. Allerdings: Indirekt müsste die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens ebenfalls einen Energieeinsparungseffekt auslösen.

Wieso ist es möglich, für ca. 50 Franken von Zürich nach Berlin zu fliegen? Überragen da die Kosten für Flughafen, Personal, Treibstoffe etc. nicht den verlangten Preis?

Michael Windisch: Ein grundlegendes Problem ist, dass die Kosten von der Allgemeinheit und nicht vom Verursacher getragen werden. Müsste der Fluggast den Schaden der CO₂-Emissionen begleichen, wären Flüge entsprechend teurer.

Stimmt es, dass wenn wir auf das Fliegen per sofort verzichten würden, wie auch auf alle anderen CO₂-Emissionen wie Heizung (Braunkohle, Erdgas, Erdöl) und die Industrie (Zement, Metall …), sowie Verkehr (Dieselloks, Busse, Autos …) und klimaneutral wären, sich die Erde nicht mehr weiter erwärmt, sondern bei plus 1,5 °C stehen bleibt?

Ulrike Lohmann: Ja, es gibt ein Zukunftsszenario, indem sehr geringe weitere Emissionen angenommen werden und indem die Erwärmung bei ca. 1.5 ºC bleibt. Allerdings wird hier angenommen, dass ca. ab Mitte dieses Jahrhunderts mehr CO₂ aus der Atmosphäre entfernt, wird als emittiert wird.

Das Grundproblem liegt in der Überbevölkerung und nicht beim Fliegen/Fahren etc. usw. Wer heute noch behauptet, die Schweiz vertrage 11Mio., sieht die Realität nicht.

Florian Egli: Mit Verlaub, die Leute, die in die Schweiz ziehen, würden auch fliegen oder Auto fahren, wenn sie anderswo leben würden. Vielmehr haben wir in der Schweiz die Verantwortung aufzuzeigen, wie eine klimakompatible Wirtschaft und Gesellschaft aussehen würden. Das Gute daran: Die Schweizer Wirtschaft bekäme einen Innovationsschub. Das funktioniert in einer 8,7 Millionen oder einer 11 Millionen Schweiz.

Gibt es Zahlen und Forschung zur Umweltschädlichkeit von Biotreibstoffen und synthetischem Kerosin im Flugverkehr? (Herstellung und aber auch Schäden durch Emissionen) Diese «Treibstoffe der Zukunft» sind nämlich weder in der Herstellung noch bei der Verbrennung frei von Treibhausfaktoren (CO₂/Wasserdampf) und verursachen durch den Anbau von Biomasse in Monokulturen immense Umweltschäden.

Michael Windisch: Alternative Treibstoffe verringern die Nicht-CO2Emissionen des Flugverkehrs kaum bis gar nicht. Die schweizerische Akademie für Naturwissenschaften hat zu dem Thema 2021 einen Bericht veröffentlicht unter dem Titel «Die Auswirkungen der Flugverkehrsemissionen auf das Klima». Bei der Herstellung von Treibstoff aus Biomasse ergeben sich gegebenenfalls Probleme durch den Wasserverbrauch und Düngemitteleinsatz. Landwirtschaftliche Flächen sind ausserdem eine endliche Ressource. Treibstoffe aus Biomasse konkurrieren deshalb direkt mit dem Anbau von Nahrungsmitteln.

Sie sagen: Wirtschaft würde auf den Kopf gestellt. Sagen Sie: effektiven Klimaschutz können wir uns gar nicht leisten? Ist es nicht klar, dass wir unsere Lebensweise – und damit die Wirtschaft – tatsächlich auf den Kopf stellen müssen, wenn wir als Spezies, geschweige denn als Gesellschaft überleben wollen? Vor den Gefahren des zu wenig Fliegens zu warnen, finde ich entweder kurzsichtig oder zynisch, je nachdem, was ich Ihnen unterstelle.

Florian Egli: Die Wissenschaft sagt klar, dass die Vermeidung von Emissionen heute wirtschaftlich viel günstiger ist als das Leben mit den Klimaschäden heute und in Zukunft. Das heisst nicht, dass Flugreisen von heute auf morgen verschwinden, aber wir brauchen eine Reduktion und mehr Anstrengungen und Unterstützung in der Entwicklung von Alternativen (zuverlässige und günstige Zugreisen, CO₂-arme Flugtreibstoffe, usw.).

Wie kann man die SBB dazu bringen, dass die (Nacht)Zugverbindungen ins Ausland verbessert werden?

Michael Windisch: Eine Abgabe auf Flugtickets oder den CO₂ Ausstoss würde die Bahn konkurrenzfähiger machen, da die Umweltkosten des Fliegers direkt vom Verursacher gezahlt werden müssten. Ein Ausbau der Zugverbindungen würde damit auch für die SBB wirtschaftlich interessanter.

Welche Auswirkungen hätte eine Flugvermehrungs-Pflicht? D.h. fürs Fliegen müsste man nachweisen, dass man keine andere Option hat. Zugelassen wären nur noch Flüge zu Ausbildungs-/Arbeitszwecken, zur Flucht/Katastrophenhilfe oder wenn man sich für eine längere Zeit an einem Zielort befindet, der nur per Flugzeug erreichbar ist, ... usw. Was alles in den «gute Gründe"-Katalog käme, müsste natürlich klar definiert werden.

Florian Egli: In der Analyse von Politikmassnahmen gibt es oft das Problem, dass zu spezifische Regeln nicht mehr effektiv sind. Das kann sein, weil sie dann umgangen werden, oder weil sie unerwartete Nebeneffekte haben, oder weil schlicht die administrativen Kosten zu hoch werden. Entsprechend wäre mein Vorschlag eher, die Alternativen billiger und attraktiver zu machen und das Fliegen zu verteuern. Entsprechend würden die «guten Gründe» von den betroffenen Firmen und Personen situativ definiert. Einige Firmen machen das übrigens schon, mit einem internen CO₂ Preis und einer entsprechenden Abrechnung und Priorisierung.

Die ganze Debatte ist doch überflüssig: Das Ziel kann es ja nicht sein, die Mobilität und damit die Freiheit des Menschen einzuschränken, sondern deren negative Effekte zu verkleinern. Und das tun die Airlines ja im eigenen Interesse: Flottenerneuerungen hin zu effizienteren Flugzeugen (A320neo, Embraer E2) senken auch die Kosten und wirken sich positiv auf die Renditen aus. Verbote und Steuern bewirkten hier das genaue Gegenteil, indem sie die Investitionsfähigkeiten der Fluggesellschaften unnötigerweise einschränkten. Es ist gut, wenn man auf Natur und Umwelt achtet, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass gewisse Leute hier den Fokus fürs Wesentlich verlieren.

Florian Egli: Das Eine schliesst das Andere meines Erachtens nicht aus. Innovationsförderung ist zentral zur Reduktion der Emissionen (z.B. effizientere Flugzeuge, Routenoptimierung, Skalierung CO₂-neutraler Treibstoffe, usw.). Das geschieht auch, vorgestern wurden die neuen EU-Regeln zur Verwendung alternativer Treibstoffe im Flugverkehr ausgehandelt. Mit dabei: €2 Milliarden Unterstützung für die Fluggesellschaften. Das Geld kommt aus dem CO₂ Markt der EU. Gleichzeitig braucht es wohl auch preisliche Anpassungen, denn die technischen Innovationen werden nicht schnell genug sein, um das Wachstum der Flugemissionen aufzufangen. Und jede Tonne CO₂ zählt im Moment, da wir so nahe an Klimakipppunkten sind, die wir nicht mehr kontrollieren können, wenn wir sie erreichen ...

Also, wenn morgen niemand mehr fliegt. Dann würde es mehr Arbeitssuchende weltweit geben, wo in der Flugzeugbranche tätig waren. Und gewisse Destination würden eingehen. Ich denke an die Malediven und Ägypten, wo auf Tourismus angewiesen sind. Ich denke mir, wenn 100 Ehepaare in die Ferien verreisen, gibt es einfach 100 Autos mehr auf der Strasse.

Florian Egli: Gewisse Destinationen sind tatsächlich stark vom Flugtourismus abhängig. Ein sofortiger Flugstopp bleibt ein Gedankenexperiment. Würden aber Flüge z.B. teurer, so würden wahrscheinlich auch weniger Leute auf den Malediven Ferien machen. Entsprechend wäre es interessant, darüber nachzudenken, ob ein Teil der Steuereinnahmen einer Flugsteuer in der Schweiz für die Unterstützung solcher Staaten aufgewendet werden sollte. Eine Möglichkeit wäre die internationale Unterstützung in der Anpassung an den Klimawandel. Die Schweiz unterstützt im Rahmen des Pariser Klimaabkommens solche Projekte schon heute, es wäre aber mehr möglich.

Ist es mit der vorhandenen und geplanten Technologie überhaupt möglich, klimaneutral zu fliegen? Auch mit synthetischen Treibstoffen fallen ja die Effekte von Russ und Kondensstreifen an und Wasserstoff oder gar Batterien sind m.W. zu wenig kompakt oder zu schwer für längere Flüge. Gibt es hierzu Ideen oder müssen wir uns grundsätzlich vom Fliegen verabschieden?

Ulrike Lohmann: Es gibt Abschätzungen, die die Kondensstreifenbildung und deren Klimaeffekt von verschiedenen Treibstoffen gegenüberstellen. Demnach ist die Kondensstreifenbildung und deren Klimaeffekt von synthetischen Treibstoffen vergleichbar mit dem von Kerosin. 

Ich lese von wirtschaftlichen Schäden und «Wirtschaft würde auf den Kopf gestellt». Dabei wird die Wirtschaft schon heute auf den Kopf gestellt (Gemüse aus Spanien) und die wirtschaftlichen Schäden kommen dann so richtig, wenn unsere Jungen eh schon um ihre Rente bangen. Es kostet dann ein Mehrfaches.

Florian Egli: Natürlich wären die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen eines Flugstopps negativ. Jedoch wissen wir sehr gut, dass es wirtschaftlich schon lange billiger wäre, jetzt Massnahmen zur Reduktion der Emissionen zu ergreifen, im Vergleich zu den wirtschaftlichen Kosten des voranschreitenden Klimawandels. Da ein Flugstopp sowieso ein Gedankenexperiment bleibt, geht es eher darum, wie wir die Emissionen schnell und effektiv einsparen können. Möglichkeiten sind: Flüge verteuern, Alternativen verbilligen und attraktiver mache (z.B. Züge), Emissionen der Flüge verringern (z.B. Routenoptimierung und synthetische Treibstoffe), effektive Möglichkeiten zur Sammlung und Bindung von CO₂ entwickeln (z.B. negative Emissionstechnologien, deren Potenzial ist allerdings wahrscheinlich beschränkt).

Mir ist bekannt, dass Jobreisen einer der grössten Ursachen vom vielen Flugverkehr ist. Wie sinnvoll fänden Sie Massnahmen für Konferenzen, damit diese eher über Zoom etc. verlaufen. Könnte man diese regulieren?

Ulrike Lohmann: Hybride Konferenzen (in Person und online) gibt es bereits und das wird das Zukunftsmodell sein. Eine Regulation wird schwierig, aber ein Umdenken in Richtung online-Teilnahme bei weiter Anreise findet bereits jetzt statt.

Um welchen Faktor müssten durchschnittliche Ticketpreise erhöht werden, um die tatsächlichen (direkten und indirekten) Kosten zu widerspiegeln? Warum gibt es im Gegensatz zu Benzin keine Mineralsteuern, die dies zu einem gewissen Grad korrigieren würde?

Florian Egli: Eine kleine «Milchbüechlirechnung»: Ein Flug von Zürich nach New York retour verursacht ungefähr 2,5 Tonnen CO₂ pro Passagier. Nehmen Sie den ungefähren Preis eines Emissionszertifikats im europäischen Handel, kostet eine Tonne ca. 80 Schweizer Franken. Aufgrund weiterer Emissionen geht man im Flugverkehr von einer ungefähr dreifachen Klimawirkung pro Tonne CO₂ aus. Das ergäbe dann ungefähr 3 x 2.5 x 80 = 600.- Klimasteuer für den Retourflug.

Am 11. September 2001 wurde der Flugverkehr in den USA für 4 Tage gestrichen, in dieser Zeit sollen sich die Temperaturen um ca. 2 Grad erwärmt haben in den USA, da weniger Abgase und Partikel in der Luft waren und die Sonneneinstrahlung dadurch stärker wurde. Wie viel wärmer würde es den bei einem weltweiten Flug-Stopp?

Ulrike Lohmann: Bei einem weltweiten Flug-Stopp würde es kälter, nicht wärmer, da der Flugverkehr Treibhausgase ausstösst und zudem zu einer Erhöhung der hohen Wolken (Zirren) führt. Beides trägt zu einer Erwärmung bei.

Ich finde folgendes ein zentrales Problem: das scheinbar „alternativlose“ ewige Wirtschaftswachstum. Politik, Wirtschaft und Finanzwelt kennen in ihrer Sprache und Argumentation nur dieses eine: mehr und noch mehr. Warum höre ich nichts oder nur sehr wenig von ernst zu nehmenden alternativen Modellen, die effektiv auch nachhaltig sind? Und wenn sie existieren, warum finden sie kein oder zu wenig Gehör bei den Politiker*innen?

Florian Egli: Die Frage nach der Grenze des Wachstums ist spätestens seit dem Bericht des Club of Rome 1972 zentral. Im Klimabereich sehen wir, dass technologische Fortschritte, zum Beispiel die extremen Kostensenkungen der Solarenergie, uns jetzt die Möglichkeiten geben eine klimakompatible Wirtschaft zu bauen. Gleichzeitig bin ich auch einverstanden, dass es ein Umdenken braucht, weg von der Profitmaximierung als Alleinziel. Ein Teil davon ist meines Erachtens, dass wir bessere Kapazitäten in der öffentlichen Verwaltung brauchen, denn die meisten Probleme dieser Welt sind kollektiv. Mariana Mazzucato, Professorin am UCL in London, ist hier eine Vordenkerin und ihre Ideen führten zum Beispiel zur Neuausrichtung der EU-Forschungs- und Innovationsgelder (Horizon Europe).

Ich möchte im Sommer nach Mittelnorwegen. Ohne Flugzeug dauert das über 60 Stunden, inkl. drei Übernachtungen: im Nachtzug, auf der Grossfähre und im Stadthotel. Es kostet insgesamt ca. 1000 CHF einfach. Per Flugzeug und Bus bin ich in 11 Stunden da, ohne Übernachtung, es kostet total ca. 400 CHF einfach. Wäre es also für 'die Wirtschaft' einträglicher, wenn ich nicht fliegen würde? Und habe ich am Schluss wirklich CO₂ eingespart?

Ulrike Lohmann: Der CO₂-Ausstoss, um mit der Bahn von Zürich nach Oslo zu reisen ist ca. 1/7 des CO₂-Ausstosses vom Flugzeug.

Guten Tag Mein Wunsch wäre ein Flugverbot für privates Vergnügen. Ist wohl kaum umsetzbar, aber trotzdem! Es gibt kein Menschenrecht auf Ferien auf der anderen Seite des Planeten, aber auch nicht auf Ferien am Mittelmeer. Können wir nicht einfach alle für Ferienzwecke (und wenn möglich auch sonst) aufs Fliegen (und wenn möglich auch aufs Autofahren) verzichten? Es ist doch nicht so schwierig!?

Florian Egli: Ihre Vorschläge sind Teil der demokratischen Debatte. Eine Mehrheit dafür fände sich wohl im Moment nicht. Jedoch unterstützt z.B. die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung eine Abgabe auf Flugtickets, was ein erster Schritt wäre. Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass die Alternativen zum Flugzeug besser und billiger werden müssen.

Was wäre, wenn es keine Billiganbieter mehr geben würde in der Flugbranche?

Florian Egli: Die Verfügbarkeit günstiger Flüge hat sicher zum erhöhten Flugverkehr beigetragen. Flüge sollten entsprechend der negativen Auswirkungen auf unser Klima klar stärker besteuert werden. Die Akzeptanz dafür ist übrigens sehr hoch. 72% der Schweizerinnen und Schweizer stehen der Einführung einer Flugticketabgabe positiv gegenüber.

Verstehe ich richtig? In der Schweiz gehen 20% des CO2 Ausstosses auf Kosten der Fliegerei.

Ulrike Lohmann: Nein, das stimmt nicht. Die gesamten Verkehrsemissionen der Schweiz tragen zu 30.6% (Stand 2021) zu den Treibhausemissionen bei. Das Flugbenzin (zivile Inlandsflüge und militärische Flüge) trägt zu ca. 3% zu den Verkehrsemissionen der Schweiz bei. Abschätzungen zum Beitrag der internationalen Flüge sind mir nicht bekannt.

Wieso gibt es immer noch so viele Kurzflugdestinationen die bequem per Zug möglich wären? Warum gibt es keine Kerosinsteuer? Warum ist fliegen so günstig?

Ulrike Lohmann: Eine Kerosinsteuer wäre sehr sinnvoll. Dann würde sowohl das Fliegen teurer und Kurzflugdestinationen würden sich nicht mehr rentieren.

Wie wäre es mit Kontingenten? Jede Person darf pro Jahr nur einmal fliegen. Die Kontingenten dürften auch verkauft werden …?

Florian Egli: Ein interessanter Vorschlag. Im Grundsatz funktioniert der Emissionshandel so: Die Gesamtmenge der Emissionen ist begrenzt und der Handel erlaubt. Entsprechend müsste das System die grossen Emissionsquellen und nicht nur Flugreisen abdecken. Beim Emissionshandel zeigt sich aber auch, dass dessen Erfolg von der Verfügbarkeit von Alternativen abhängt. Entsprechend ist es zentral, dass verkehrspolitisch Alternativen (z.B. schnelle und zuverlässige Bahnverbindungen) und alternative synthetische Treibstoffe vorangetrieben werden.

Wie ist der aktuelle Stand bei der Kerosinsteuer und dem Umstieg auf synthetische Treibstoffe? Wo hapert es, wann kann man damit rechnen?

Florian Egli: Kerosin sollte tatsächlich besteuert werden, denn der negative Klimaeffekt von Flugreisen ist eine klare negative Externalität. Zudem sollten Alternativen vorangetrieben werden. Weil batteriebetriebene Flugreisen für längere Strecken aufgrund der Energiedichte wohl nie Realität werden, kommen wir an der Entwicklung klimaneutraler Treibstoffe im Zusammenspiel mit wirkungsvollen Kompensationsprojekten nicht vorbei. Vorgestern wurden in der EU neue Regeln vorgeschlagen, nach denen bis 2030 1.2% und bis 2040 35% des verwendeten Treibstoffes synthetisch sein soll. Eine Schweizer Firma, Synhelion, ist in dem Bereich mitunter führend. Ein Beispiel, das zeigt, dass die schnelle Entwicklung des Bereichs auch für den Industriestandort Schweiz interessant sein könnte.

Es würde doch schon helfen, wenn die Energiepreise den Totalkosten entsprechen würden, inklusive Ökobelastung. Das gäbe sicher mal eine Korrektur in die richtige Richtung.

Ulrike Lohmann: Ja, das wäre eine sehr sinnvolle Massnahme. Sie ginge in die richtige Richtung, um unser Klima zu schützen.

Ist bekannt oder gibt es Schätzungen, was militärische Aviatik am globalen Flugverkehr ausmacht?

Ulrike Lohmann: Die Schätzungen sind ungenau, aber liegen so bei 10%.

Während Corona haben wir gelernt, dass Meetings auch online funktionieren. Wieso hat ihrer Meinung nach hier kein Umdenken stattgefunden? Wie beispielsweise geht es ihnen, wenn sie an Klimakonferenzen denken, zu denen auch x Expertinnen und Politiker mit dem Flugzeug anreisen? Sollte nicht hier angesetzt werden zur Vorbildfunktion?

Ulrike Lohmann: Es findet ein Umdenken statt, insofern dass viele Konferenzen inzwischen hybrid stattfinden und die Expert:innen von weiter weg online teilnehmen können. Zudem haben sich Institutionen wie die ETH Klimaziele gesetzt und rufen ihre Expert:innen dazu auf, wenn immer möglich zu Tagungen per Zug anzureisen.

Inwiefern könnten alternative Beförderungsmittel wie der in der Entwicklung befindliche Hyperloop den Flugverkehr (zumindest Kurzstreckenflüge) ablösen?

Ulrike Lohmann: Die beste Alternative für Kurzstreckenflüge ist die Bahn. Der Hyperloop wird in absehbarer Zeit keine Alternative darstellen.

10vor10, 27.04.2023, 21:50 Uhr

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