In der Schweiz ist alles sauber, alles hygienisch. Fleisch in grossen Mengen, offen in Behältern und Lastwagen, das gibt es gar nicht, würde man meinen. Aber man täuscht sich. Mitten im Aargauer Dorf Othmarsingen befindet sich der grösste Umschlagplatz für Schlachtabfälle der Schweiz. 200 Tonnen Knochen, Fleisch und Fett werden hier pro Tag umgeladen. Und das führt manchmal zu üblen Gerüchen im Dorf.
Ein ganz gewöhnlicher Montagmittag in Othmarsingen. Ein Kühllastwagen biegt von der Hauptstrasse ab auf das Gelände des ehemaligen Schlachthofes Marti.
Der Lastwagen gehört der Firma Centravo. Diese hat die Aufgabe, sämtliche Schlachtabfälle der Schweizer Fleischwirtschaft zu entsorgen oder weiterzuverwerten. In Othmarsingen hat die Centravo 2008 den Schlachthof Marti übernommen.
Die Lastwagen bringen jeden Tag 200 Tonnen Fleisch, Fett und Knochen nach Othmarsingen. Diese Schlachtabfälle werden in allen Schlachthöfen der Schweiz eingesammelt. Zum Beispiel auch in Märwil im Kanton Thurgau, wie auf einem Behälter zu lesen ist.
Die Frifag zum Beispiel verarbeitet Geflügel. Die Überreste werden in Behälter gefüllt und kommen per Kühllastwagen in Othmarsingen an.
Die Centravo stellt die verschiedenen Behälter mit Fleischabfällen in einen Kühlraum. Dort wird das Material sortiert, Fleisch zu Fleisch, Knochen zu Knochen, Fett zu Fett. Regelmässig fahren andere Lastwagen vor, keine Kühllastwagen, sondern solche mit grossen Mulden.
Gabelstapler holen die Behälter aus dem Kühlraum und kippen den Inhalt in die grossen Lastwagen, deren Mulden je 10 Tonnen Material fassen. Schlachtabfälle, die später im nahen Ausland zu Tierfutter verarbeitet werden.
Bei diesem Umladeprozess können unangenehme Gerüche entstehen. Das umgeschlagene Fleisch ist nicht verdorben. Aber es ist schon ein paar Tage unterwegs. Die Gerüche werden nicht aufgefangen, denn der Warenumschlag geschieht auf einem offenen Platz. Er ist zwar überdacht und auf den Seiten hat es Netze, damit Vögel und Füchse keine Fleischstücke holen können. Aber eine Ventilation gibt es nicht. Die Gerüche können sich ungehindert im Dorf ausbreiten.
Georg Herriger, Specher der Centravo, kennt das Problem. Es gebe ab und zu Reklamationen. Man nehme diese sehr ernst und unternehme alles, damit die Bevölkerung nicht belästigt werde. Aber optimal sei die Situation keineswegs, sagt er.
Die Centravo habe das Gelände vor 12 Jahren in der Absicht übernommen, möglichst bald eine Überbauung zu realisieren. Der Umschlagplatz für Schlachtabfälle sei von Anfang an als Übergangslösung gedacht gewesen. Doch die Planung der Überbauung habe sich verzögert. Man habe nun aber ein konkretes Projekt und sei zuversichtlich, dass man in spätestens zwei Jahren mit dem Bau beginnen könne.
Diese Hoffnung hat auch Hans Rätzer, Gemeindeammann von Othmarsingen. Er lebt seit über 50 Jahren im Dorf und seit er denken kann, war der Gestank im Dorf ein Thema. Früher, als die Firma Marti noch Tiere schlachtete und auch Schlachtnebenprodukte verarbeitete, sei es noch viel schlimmer gewesen.
Aber Rätzer findet auch die Gerüche des Fleischumschlages der Centravo unangenehm: «Vor allem im Sommer haben wir immer wieder Reklamationen. Auch an der letzten Gemeindeversammlung im November war von den Immissionen die Rede.»
In zwei Jahren aber sollen die Gerüche weg sein. Ein neues Dorfzentrum soll auf dem Areal entstehen mit gegen 200 Wohnungen und bis zu 800 neuen Einwohnern. Viel für ein Dorf, in dem jetzt 2900 Menschen leben. Auch die Gemeinde will auf dem Grundstück bauen, nämlich eine neue Gemeindeverwaltung. Und ein Grossverteiler will einziehen.
Eines wird es aber im neuen Dorfzentrum sicher nie geben, nämlich eine Strasse oder ein Flurname wie z. B. «Fleischmatt», der an den Schlachtbetrieb der Firma Marti oder an den Fleischlogistik-Betrieb der Centravo erinnern könnte. Ammann Hans Rätzer: «Mit der Geschichte, die das Areal hat, wollen das sicher alle Leute aus ihrem Gedächtnis streichen.»