Lange Jahrzehnte war der Churer Johann Coaz vor allem als Mitbegründer des Schweizer Nationalparks und Erstbesteiger des Piz Bernina bekannt. Das Buch «Coaz, Pionier seiner Zeit (1822-1918)» dokumentiert nun erstmals sein Leben anhand seiner Tagebücher. Paul Eugen Grimm hat als Historiker die Publikation begleitet und Coaz' Leben «im Spiegel seiner Tagebücher» zusammengefasst.
SRF News: Johann Coaz hat sich für alles möglich interessiert und gleichzeitig viel realisiert. Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Paul Eugen Grimm: Mich hat natürlich seine Vielfalt beeindruckt. Als Alpinist, als Ingenieur, als Topograph – so eine vielseitige Persönlichkeit trifft man selten.
Johann Coaz wurde erst mit 92 pensioniert. Sie haben alle Tagebücher gelesen, was hatte er für eine Lebenshaltung?
Er hatte grundsätzlich eine sehr positive Lebenshaltung. Mit Freude an allem Schönem – nicht nur Naturwissenschaften, sondern auch Literatur, Musik und Kunst. Das ist eigentlich ein Faden durch sein ganzes Leben.
Vom 16. bis zum 96. Lebensjahr hat Johann Coaz Tagebuch geschrieben. Dazu gibt es Spezialtagebücher zu Waldfragen, Botanik, Alpinismus, Zoologie. Wann haben Sie die Tagebücher zu ersten Mal gesehen?
Das war ungefähr vor 10 Jahren, als ich fürs Unterengadin bezüglich der Dufour-Karten recherchiert habe. Durch einen Tipp erfuhr ich, dass die Tagebücher bei einem Urenkel sind. Dort durfte ich reinschauen und ein paar Kopien machen. Es hat mich sofort fasziniert. Wie er schreibt, aber auch die Schrift selber – winzig klein.
Was ist das Spezielle an diesen Tagebüchern?
Dass Coaz fast Tag für Tag sein Leben dokumentiert. Er hat allerdings später, in Bern, nicht mehr viel ins private Tagebuch geschrieben, aber in seine amtlichen Tagebücher.
Johann Coaz studierte in Deutschland Forstingenieur und arbeitete bei der ersten Landeskarte von Henri Dufour mit. Damals realisierte er die Erstbesteigung des Piz Bernina. Im Sonderbundkrieg war er an der Seite von General Dufour und hat später auch dessen Tagebuch ins Reine geschrieben. Danach: Bündner Forstinspektor und dann erster Eidgenössischer Forstinspektor sowie Verfasser des ersten Eidgenössischen Forstpolizeigesetzes. Er hat im Hintergrund die Fäden gezogen für den Nationalpark und mit Lawinenüberbauungen experimentiert.
Er hat allen Förstern mitgeteilt, wie sie mit den Gemeindebehörden umgehen müssen: Vorsichtig, Schritt für Schritt, Rücksicht nehmen, diplomatisch vorgehen.
Wo hat er aus heutiger Sicht am meisten Spuren hinterlassen?
Ich denke im Forstwesen. Natürlich haben sich die Ansichten über den Wald und die Bewirtschaftung verändert inzwischen. Coaz hat aber ganz tolle Grundlagen geleistet – auch in der Gesetzgebung. Was immer noch nachwirkt und zwar unverändert, ist der Nationalpark, der seit gut 100 Jahren besteht.
Es wird auch immer wieder gesagt, dass er sehr viel diplomatisches Geschick hatte.
Er hat beispielsweise mit zwei Mitarbeitern 1851 im Kanton begonnen. Innerhalb weniger Wochen hat er es fertiggebracht, seinen Bereich auf 12 Personen aufzustocken. Danach er allen Kreisförstern mitgeteilt, wie sie mit den Gemeindebehörden umgehen müssen: Vorsichtig, Schritt für Schritt, Rücksicht nehmen, diplomatisch vorgehenn – da sieht man, wie Coaz gearbeitet hat.
Das Interview führte Stefanie Hablützel
SRF1, Regionaljournal Graubünden, 17:30 Uhr; habs/kobp