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International Afghanistan-Krieg: «Es braucht Gespräche mit den Taliban»

Afghanistan ist nach Eritrea das Herkunftsland, aus dem die meisten Asylbewerber in die Schweiz kommen – und das obwohl sie hierzulande nur geringe Chancen auf Asyl haben. Wie ist die Situation im Land tatsächlich? Ist eine Rückführung zumutbar? Ein Journalist und Kenner des Landes gibt Auskunft.

SRF News: Mehr als jedes sechste Asylgesuch in der Schweiz wird von einem Afghanen oder einer Afghanin gestellt. Aus welchen Gründen verlassen diese Menschen ihr Land?

Thomas Ruttig: Da ist einerseits eine langanhaltende wirtschaftliche, politische sowie militärische Unsicherheit. Mit dem Vormarsch der Taliban hat sich die Sicherheitssituation ausserdem seit etwa 1 bis 2 Jahren verschärft. Und dennoch sind gleichzeitig die meisten westlichen Truppen abgezogen.

Thomas Ruttig

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Der Mitbegründer und Co-Direktor des «Afghanistan Analysts Networks», einem unabhängigen Think Tank mit Sitz in Kabul und Berlin, beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit Afghanistan. Er hat dort über zehn Jahre gelebt und gearbeitet.

Und wer verlässt Afghanistan vor allem?

Darüber gibt es keine umfassenden Aussagen. Ende letzten Jahres hat man in Griechenland versucht, Erhebungen zu machen. Es ist wohl ein ziemlicher Querschnitt aus der Bevölkerung. Zwar sind junge alleinreisende Männer in der Überzahl. Aber ich höre auch immer wieder, dass es überraschend viele Familien gibt, die nach Europa ziehen – und auch viele Minderjährige.

Offenbar kommen viele nicht direkt aus Afghanistan nach Europa, sondern haben vorher zum Beispiel schon länger im Iran gelebt. Wieso ziehen die Afghanen von dort jetzt weiter?

Zum einen ist Iran für viele Afghanen auf dem Weg nach Europa die erste Etappe. Gerade die, die finanziell nicht gut gestellt sind, versuchen erst einmal Geld zu verdienen für die weitere Reise. Dann gibt es schon seit Jahrzehnten zahlreiche Afghanen, die im Iran als Gastarbeiter tätig sind. Viele haben sich dort niedergelassen, Familien gegründet oder mitgenommen. Aber sie werden halt der iranischen Bevölkerung nicht gleichgestellt. Das treibt jetzt unter anderem Jugendliche, die sich dort benachteiligt fühlen, nach Europa.

In Einzelfällen hören wir von Zwangsrektrutierungen für den Bürgerkrieg in Syrien, wo die Iraner afghanische Einheiten aufgestellt haben. Inzwischen existiert da eine eigenständige Division, die auf Seiten des Assad-Regimes kämpft.

Audio
«Afghanistan ist nach wie vor kein sicheres Land»
aus Echo der Zeit vom 25.10.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 18 Sekunden.

Afghanen, die es bis nach Westeuropa schaffen, werden zwar wegen der Sicherheitslage in Afghanistan mehrheitlich nicht zurückgeschafft. Sie haben aber gleichzeitig auch nur sehr geringe Chancen auf Asyl. Was motiviert die Leute denn, dennoch hierher zu kommen?

Da muss man auch fragen: Wieso sagt unsere Regierung, dass Afghanistan nicht so gefährlich ist? Es ist einfach so, dass der Krieg im Land weiter anhält. Und dass er seit der US-geführten Intervention 2001, die eigentlich den Krieg beenden sollte, immer weiter eskaliert ist. Die Taliban sind nicht geschlagen worden, sie sind immer stärker geworden. Viele Menschen fühlen sich von ihnen bedroht. Sie wollen nicht unter den Taliban leben. Damit sind sie für mich politische Flüchtlinge.

Sie stimmen den Leuten in Deutschland und in der Schweiz also nicht zu, die sagen, es wäre inzwischen zumutbar, mehr Leute nach Afghanistan zurückzuschaffen?

Nein, denn der Krieg in Afghanistan ist weiter im Gange. Wichtig ist, diese Fluchtursache zu bekämpfen, sich einzusetzen für eine politische Regelung. Da hat der Westen über fast zehn Jahre – während der Bush-Regierung – den Fehler gemacht, jegliche Gespräche mit den Taliban abzulehnen, als sie noch nicht so stark waren.

Inzwischen sind die Taliban im Land sehr verankert. Man kann sie halt nicht wegkriegen, schon gar nicht mit militärischen Mitteln. Deswegen wären politische Gespräche mit den Taliban notwendig, um den Krieg zu beenden. Erst das wäre dann die Grundlage, dass die Afghanen vermutlich zu ganz, ganz grossen Teilen freiwillig in ihr Land zurückgehen würden.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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