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Afrika–jenseits der Klischees «Afrika könnte das Atomzeitalter überspringen»

Kriege, Krisen, Krankheiten und Katastrophen: Das Bild von Afrika ist geprägt von Klischees. «SRF News Online» hat mit Afrika-Korrespondent Patrik Wülser über Internetboom, Mittelstand und Energie auf dem Kontinent gesprochen. Klar ist: Ein Wandel ist im Gang.

SRF News Online: Patrik Wülser, Sie berichten seit 2011 als Afrika-Korrespondent für SRF aus Kenia. Was fasziniert Sie persönlich, im Alltag und bei der Arbeit?

Patrik Wülser

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Legende: SRF

Patrik Wülser ist Afrikakorrespondent für SRF und lebt mit seiner Familie seit 2011 in Nairobi (Kenia).

Patrik Wülser: Jeden Tag bin ich hier mit existenziellen Fragen des Lebens konfrontiert. Man steht vor Fragen wie: Gibt es Strom? Läuft der Jeep? Habe ich eine Internetverbindung? Wie überquert man einen Fluss? Das Leben in Afrika bewegt sich viel mehr zwischen Extrempositionen: Man lacht täglich – ärgert sich aber auch täglich. Das Leben ist unmittelbarer und nicht so schön austariert wie in der Schweiz. Dort klappt ja alles am Schnürchen. Das ist wunderbar – hat aber auch Nachteile: Wehe, wenn das Bio-Alpen-Milch-12-Frucht-Joghurt nur in der kleinen Packung vorrätig ist. Dann muss man die Leute medikamentös ruhigstellen.

Wie gehen die Menschen in Afrika damit um?

Mit einer bewundernswerten Geduld und Gelassenheit. Das ist etwas, was wir von diesem Kontinent lernen können. Beispielsweise Anstehen während Stunden in irgendwelchen Ministerien, wo korrupte Beamte essen, Tee trinken und nicht den Service erbringen, den die Steuerzahler erwarten dürfen. Dort, wo ich als Europäer die Wände hochgehe, bleiben die Menschen gelassen.

Das erste afrikanische Smartphone, mobile Bezahlsysteme sind auf dem Markt. Und Internet-Startups schiessen aus dem Boden. Sind das Anzeichen für eine Aufbruchstimmung auf dem Kontinent?

Ja, es herrscht eine Aufbruchstimmung. Aber wer meint, Afrika bestehe nur aus Lehmhütten, singenden Massai, die gelegentlich eine Gazelle töten und den Rest des Tages unter dem Mangobaum schlafen, hat sich getäuscht. Fast jeder Massai besitzt heute ein Mobiltelefon. Dies ermöglicht: Kommunikation, Zahlungen, Telemedizin, Wetterwarnungen oder die Überprüfung von Wahlen. In Städten wie Nairobi, Kigali oder Johannesburg gibt es Internetcafés und eine junge Software-Entwickler-Szene, Geschäftsleute – viele junge Menschen mit Visionen.

Es braucht mehr als eine neue Strasse, ein Fussballstadion oder einen Staudamm in Rekordzeit hinzustellen.
Autor: Patrik Wülser SRF-Korrespondent

Smartphone, Web und Co. sind also ein Sprungbrett aus der Armut?

Das Internet ist einfach ein Kommunikations- und Arbeitsinstrument. Es kann ein Sprungbrett sein. Doch nicht für die Mehrheit der Bevölkerung. Diese lebt immer noch in Armut – hat nichts zu essen. Sie hat keinen Strom, sauberes Wasser, keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung. So gesehen, darf man den Internetboom auf dem Kontinent nicht verklären.

Gibt es denn so etwas wie einen Mittelstand auf dem Kontinent?

Der wird in den Boom-Berichten in Europa immer wieder erwähnt. Allerdings darf man nicht vergessen: Das ist eine kleine Personengruppe. Sie ist nicht vergleichbar mit der Situation in Europa. Dort stellt der Mittelstand eine Mehrheit der Bevölkerung dar – sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich. Hier ist es mehr eine verdienende und aufstrebende Schicht. Der Mittelstand ist kein Garant für eine stabile Politik.

Trotz technologischen Fortschritten und einer aufstrebenden Mittelschicht: Es mangelt offensichtlich massiv an Infrastruktur. Was wird getan, um die Infrastruktur zu verbessern?

Afrika ist wahrscheinlich der rohstoffreichste Kontinent dieser Welt. Das haben bereits die Kolonialmächte vor über 100 Jahren begriffen. Heute gehen die Chinesen mit diesem Umstand geschickt um. Die Folge: China ist der grösste Handelspartner Afrikas. Allerdings ist es heute ein Tauschgeschäft: Rohstoff gegen Infrastruktur. Die Chinesen sind verantwortlich für den Bau von grossen Strassen, Schulen, Kraftwerken – selbst für den Bau von Radio- und Fernsehstudios.

Das klingt sehr positiv. Gibt es auch Schattenseiten?

Man wirft den Chinesen vor, dass es wenig bringt, einige Schulhäuser oder Strassen zu bauen. Aber gleichzeitig fehlen ausgebildete Lehrer oder Fachleute, welche die neuen Strassen unterhalten können.

Ich selber lebe unmittelbar an einer Strasse, die von Chinesen erbaut worden ist. Die Kenianer müssen sie nun selber unterhalten. Die Strasse war gut – jetzt zerfällt sie langsam. Jeden Tag verschlechtert sich ihr Zustand – wegen unsachgemäss ausgeführten Reparaturarbeiten. Das macht deutlich: Es braucht mehr als eine neue Strasse, ein Fussballstadion oder einen Staudamm in Rekordzeit hinzustellen. Es braucht das Wissen für die Zeit danach, es braucht den Unterhalt – also eine langfristige Perspektive.

Allerdings: Die Chinesen geniessen eine grosse Reputation. Aus afrikanischer Sicht begegnen sie ihren Partnern auf Augenhöhe. Sie geben keine Ratschläge, wie man ein Land regieren soll. Es ist vielmehr eine Handels- und Geschäftsbeziehung. Allerdings ist anzufügen: Dieses Geschäft ist knallhart. Die Chinesen machen das nicht aus altruistischen Gründen. Sie wollen Geld verdienen. Dies wird hier positiv gewertet.

Gibt es weitere Vorwürfe?

China missbraucht den Kontinent als Markt für Billigware: Plastikgeschirr, billige Kochtöpfe und schlechtes Werkzeug. Es gibt nichts Schlimmeres als mit chinesischen Nägeln oder Schrauben etwas zu reparieren. Sie können sicher sein: Die Nägel verbiegen sich bereits beim Einschlagen. Diese Ware hat einen sehr schlechten Ruf. Damit werde das lokale Gewerbe zerstört oder verdrängt, heisst es.

Es gibt grosse Gebiete ohne eine einzige Glühbirne.
Autor: Patrik Wülser SRF-Korrespondent

Internetboom, Infrastruktur und ein aufstrebender Mittelstand: Lässt dies auf einen gestiegenen Energiebedarf schliessen?

Hier lernt man mit der Beschränkung leben. Und das ist auch so beim Energieverbrauch. Ein Afrikaner verbraucht einen Bruchteil an Energie im Vergleich zu den Europäern. Es gibt weniger Elektrogeräte und Lichtverbrauch. Nur etwa ein Drittel der Menschen haben Zugang zu Strom. Die meisten kochen mit Holzkohle. In der Nacht liefern Petrollampen Licht. Es gibt grosse Gebiete ohne eine einzige Glühbirne. Das muss sich ändern.

Energie bedeutet Licht, um Hausaufgaben zu machen, Energie zum Kochen und Sicherheit. Wenn ganze Stadtquartiere im Dunkeln liegen, ist dies auch eine Einladung für Räuberbanden. Und nicht zuletzt ist Energie auch Voraussetzung für eine moderne Wirtschaft. Der grosse Unterschied zu Europa ist: Afrika könnte mit dem Potenzial an erneuerbaren Energien das Atomzeitalter überspringen. Alleine das Wasser im Kongobecken könnte zehn Prozent des gesamten afrikanischen Energiebedarfs decken. Die Sahara ist reich an Sonnen- und Windenergie. Im ostafrikanischen Rift Valley – einem ehemaligen Vulkangebiet – könnte heisses Wasser aus dem Erdinnern, Strom liefern.

Die Ressourcen sind vorhanden. Was passiert um diese zu nutzen?

Erneuerbare Energie wird bereits genutzt. Zehn Prozent des gesamten Stromes in Kenia wird mit Geothermie erzeugt. Im Norden des Landes wird mit Windenergie Strom produziert. Trotzdem: Es steckt alles noch in den Kinderschuhen. Die erneuerbaren Energien werden eher dezentral genutzt – besonders Solarenergie. Viele Massai haben zu Hause eine kleine Solarlampe mit einem Panel. Sie wird tagsüber geladen und nachts hat man dann fünf bis sieben Stunden Licht. In diesem Umfeld sind alternative Energien von grossem Nutzen.

Zum Schluss: Gibt es Hoffnung für die künftige Entwicklung des Kontinents?

Aber selbstverständlich: Afrika ist unendlich reich an Rohstoffen, an Energie, an fruchtbaren Böden und jungen Menschen. Sie sind ausgestattet mit einem grossen Talent an Improvisation und der Gabe mit Widrigkeiten fertig zu werden. Afrikaner sind uns in vielem Überlegen. Nur solange die Ressourcen vergeudet werden, eine korrupte Elite Bodenschätze, Staatskassen leert, Menschenrechte verachtet und der Graben zwischen Arm und Reich so gross ist, wird es Konflikte geben.

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