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Auf dem Land «Die PiS ist die einzige Partei, die uns zuhört»

Die Wähler der umstrittenen Regierungspartei leben mehrheitlich in Ostpolen auf dem Land – in Kleinstädten wie Wlodawa.

Auf dem renovationsbedürftigen Marktplatz von Wlodawa spielt sich die Blasmusik-Kapelle für den Besuch des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda warm. Zu den teils noch recht schrägen Tönen verteilen Pfadfinderinnen weiss-rote Polenfähnchen. Die Anhänger der Regierungspartei PiS verteilen Wahlbroschüren für die Parlamentswahlen vom 13. Oktober.

Die Chancen, dass die Broschüren gelesen werden, stehen gut: In Wlodawa holte die Partei vor vier Jahren fast jede zweite Stimme. Jetzt sind die Häuser um den Marktplatz erneut vollgepflastert mit Wahlplakaten. Fast alle werben für PiS-Kandidaten.

Die PiS ist die einzige Partei, die kleinen Leuten wie mir Respekt entgegenbringt und zuhört.
Autor: Leszek Maurer aus Wlodowa

«Die Armut in Wlodawa ist zurückgegangen»

Auch Leszek wartet auf Präsident Duda. Der Maurer wird im Oktober wieder die Regierungspartei wählen: «Die PiS ist die einzige Partei, die kleinen Leuten wie mir Respekt entgegenbringt und zuhört», sagt er. Den Besuch des Staatspräsidenten hier im äussersten Osten Polens sieht er als Zeichen für diese Wertschätzung.

Ewa, eine junge Frau mit Zwillingskinderwagen, sieht das genauso. Sie sagt: «Die Regierungspartei hat in den letzten vier Jahren viel Gutes getan. Vor allem ist die Armut zurückgegangen. Hier in Wlodawa spürt jeder die Folgen des Programms «500+», den monatlich 120 Franken Kindergeld, das die PiS eingeführt hat. Hier spürt jeder die Folgen der 13. Rente, die Pensionierte neuerdings bekommen». Wenn die Wahlen so herauskommen, wie die Umfragen voraussagen, dann wird die PiS auch die nächste polnische Regierung stellen. Dann würden, glaubt die junge Mutter, hier im ländlichen Ostpolen endlich bessere Strassen gebaut.

«Wir wollen keinen Graben zwischen den Grossstädten und dem Rest Polens»

Ein Ruck geht durch die Wartenden und auf dem Marktplatz singen alle die erste Zeile der Nationalhymne: «Polen ist noch nicht verloren». Andrzej Duda, der Präsident mit den Pausbacken und dem freundlichen Lächeln, singt mit und steigt dann auf das niedere Podest mitten auf dem Platz.

Tiefe Gräben zwischen Stadt und Land

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Am 13. Oktober wählt Polen. Alles deutet darauf hin, dass die umstrittene Regierungspartei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) gewinnt, wohl mit mehr als 40 Prozent der Stimmen.

Umstritten ist die PiS, weil sie es Richterinnen und Richtern schwer macht, unabhängige Urteile zu fällen. Weil sie das Staatsfernsehen zu einer Propagandamaschine umgebaut hat. Und weil sie hetzt, gegen alles, was nicht in ihr Polenbild passt, zum Beispiel gegen Homosexuelle.

Andererseits ist die PiS sozialpolitisch grosszügig. Sie will den Mindestlohn verdoppeln, ist spendabel beim Kindergeld, senkt Steuern, erhöht Renten. Vor allem das ärmere Polen wählt PiS – das ländliche Polen und der Osten. Im Westen und in den grossen Städten hat die PiS dagegen keine Chance.

Eigentlich steht der polnische Präsident über der Tagespolitik. Aber es ist Wahlkampf – und den beherrscht Duda. Direkt nach den Höflichkeitsfloskeln ist er da, wo es viele hier in Ostpolen schmerzt, beim Gefühl abgehängt zu werden. «Wir wollen keinen Graben zwischen den Grossstädten und dem Rest Polens», sagt Duda. «Wir wollen Strassen, schnelles Internet für alle. Deshalb geben wir hier im Osten so viel Geld aus, im Gegensatz zu unseren Vorgängern.» «Wir», das muss der Präsident gar nicht explizit erwähnen, «wir» das ist die PiS, die «Vorgänger» die heutige Opposition.

Wir werden zum Westen aufschliessen.
Autor: Andrzej Duda Präsident von Polen

Das Ziel: Aufschliessen zum Westen

Von den Versprechen für Ostpolen wechselt der Präsident zum nationalen Wahlprogramm der PiS: höhere Subventionen für Bauern und ein fast doppelt so hoher Mindestlohn. «Die Polen sollen keine billigen Arbeitskräfte mehr sein, darum muss der Mindestlohn so drastisch steigen», argumentiert Duda.

«Wir werden zum Westen aufschliessen», verspricht er. Aber ohne, dass dabei, der polnische Katholizismus geschwächt werde, ohne dass der Stolz auf die polnische Nation hinterfragt werden müsse: Das ist die Grundhaltung der nationalkonservativen PiS.

«Kritische Richter sind von der Opposition manipuliert»

Die Rede des Präsidenten kommt gut an in Wlodawa. Maria, die am Marktplatz ein winziges Geschäft mit günstiger Damenmode betreibt, ist begeistert: «Der Präsident ist gebildet, er sieht gut aus, spricht frei – ein moderner Typ.»

Inhaltlich ist sie sowieso einverstanden mit Duda und mit der PiS. Auch bei den umstrittenen Themen, die der Präsident in seiner Rede umschifft hat. Dass PiS-Politiker in letzter Zeit immer wieder gegen Schwulen und Lesben hetzen, findet sie verständlich. Die attackierten ja auch die katholische Kirche. Den Richterinnen und Richtern, die sagen, sie könnten nach den Eingriffen der PiS ins Gerichtswesen nicht mehr unabhängig urteilen, wirft sie vor, sie seien von der Opposition manipuliert.

«Wir hoffen auf über 50 Prozent der Stimmen»

Im Kulturzentrum von Wlodawa klimpert ein kleines Mädchen auf einem Klavier. Der Empfang für den Präsidenten ist am Ausklingen, Duda und seine Entourage sitzen bereits im Helikopter zurück nach Warschau.

Unser Minimalziel sind 45 Prozent. Aber wir hoffen auf 50 oder mehr in diesem Wahlkreis.
Autor: Wieslaw Holaczuk PiS-Vorsitzender von Wlodawa

Wieslaw Holaczuk lehnt sich müde, aber zufrieden zurück. Der lokale PiS-Vorsitzende weiss: Der Besuch des Präsidenten hilft seiner Partei bei den anstehenden Wahlen. «Unser Minimalziel sind 45 Prozent. Aber wir hoffen auf 50 oder mehr in diesem Wahlkreis», sagt er. Entscheidend für den Erfolg sei die straffe Organisation der Partei durch den mächtigen nationalen Parteichef Jaroslaw Kaczynski. «Es ist sein Verdienst, dass die PiS so geschlossen auftritt. Es gibt klare Regeln und wenn jemand von der Parteilinie abweicht, dann muss er gehen.»

«Die Oppositionsführer kommen nicht in Kleinstädte auf dem Land»

Diese Einschätzung teilt am nächsten Tag auch einer, der die PiS bei Wahlen geschlagen hat: Wieslaw Muszynski, Bürgermeister von Wlodawa. Er hat letztes Jahr bei Lokalwahlen gegen den Kandidaten der Regierungspartei gewonnen.

Zur straffen Organisation der PiS und zu ihrem Erfolgsrezept gehört in seinen Augen auch, dass der Premier, der Präsident, der Parteichef, dass die ganze PiS-Elite zur Wahlzeit kreuz und quer durch Polen reisen. «Die PiS macht mit Abstand den aktivsten Wahlkampf. Das zahlt sich aus. Die Oppositionsführer hingegen kommen kaum in ländliche Kleinstädte wie Wlodawa. Dabei wäre das wichtig», findet der Lokalpolitiker.

Kein vernünftiger Politiker kann mehr versprechen als die PiS. Das wäre schlicht nicht finanzierbar.
Autor: Wieslaw Muszynski Bürgermeister von Wlodawa

Ein noch tieferer Graben durch die polnische Gesellschaft?

Mehr Verständnis hat er dafür, dass es der Opposition schwerfällt, ein attraktives Wahlprogramm zu entwickeln. «Die PiS verspricht den Leuten so viel Geld, dass links davon kaum Platz bleibt. Kein vernünftiger Politiker kann mehr versprechen als die PiS. Das wäre schlicht nicht finanzierbar», sagt Muszynski.

Die grosszügigen Sozialprogramme der PiS gefallen dem linken Politiker. Sorgen macht ihm hingegen, mit welcher Aggressivität die Regierungspartei gegen Andersdenkende vorgeht – im Wahlkampf aber auch mit Gesetzen. Er fürchtet, der ideologische Graben quer durch die polnische Gesellschaft werde nach dem wahrscheinlichen Wahlsieg der PiS noch tiefer werden als er heute schon ist.

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