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Aufbruch in Äthiopien Die schwierige Mission des «Messias»

Äthiopiens neuer Premier, Abiy Ahmed, will dem Land nichts Geringeres bringen als Friede und Demokratie. Einem Land, das seit 27 Jahren autoritär regiert wird. Besonders die Oromo sind stolz, dass nun einer der Ihren das Sagen hat. Doch sie sind skeptisch. Schafft der Hoffnungsträger die Versöhnung?

Er schafft wieder Raum zum Träumen: «Abiy», wie Äthiopiens neuer Regierungschef genannt wird, will das Land reformieren. Der Mann hat nicht nur Visionen. In nur fünf Monaten Amtszeit wechselte er Schlüsselpositionen in der Regierung und im Militär sowie dem Sicherheitsapparat aus, die fast 30 Jahre lang für brutale Repression verantwortlich waren.

Abiy Ahmed – Lichtfigur mit Charisma

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Äthiopiens neuer Premierminister, Abiy Ahmed, ist derzeit Äthiopiens grösster Star. Der 42-Jährige ist redegewandt und gutaussehend. Bereits wird er mit Nelson Mandela, Barack Obama und Michail Gorbatschow verglichen. Der charismatische Mann wird Revolutionär genannt oder gar Messias.

«Aus historischen Gründen richten die Äthiopier ihre Aufmerksamkeit auf den Führer», erklärt der Politologe Asnake Kefale. Äthiopien wurde stets von starken Männerfiguren regiert: Kaiser Haile Selassie, Diktator Mengistu Haile Mariam, der langjährige Premierminister Meles Zenawi. So sei es verständlich, dass auch bei der aktuellen Transformation so stark auf die Figur Abiy Ahmed fokussiert werde.

Der Neue will versöhnen. Er entschuldigte sich gar im Namen der Regierung für die Gräueltaten der Vergangenheit. Er lud Oppositionsgruppen dazu ein, am Reformprozess teilzuhaben. Und: er schloss Frieden mit dem Nachbarland Eritrea – nach fast zwei Jahrzehnten.

Eine Revolution in fünf Monaten

«Dass er sich als Premier gegen die eigene Regierung stellt, das sind so drastische Änderungen, dass sie an eine Revolution grenzen», bilanziert der Politologe Asnake Kefale , Professor an der Universität von Addis Abeba.

Mann.
Legende: «Die Änderungen grenzen fast an eine Revolution»: Asnake Kefale, Politologe und Professor an der Universität von Addis Abeba. SRF/Anna Lemmenmeier

Mit Revolutionen hat Äthiopien Erfahrung. In den 70er-Jahren stürzte das Volk den Kaiser. Danach folgten fast zwei Jahrzehnte sozialistische Diktatur und Bürgerkrieg. 1991 übernahm die Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker, kurz EPRDF, die Macht und regiert seither das Land.

Eine Kleinstadt als Keim des Wandels

Aber der Wandel kam nicht, weil an der Spitze der Regierung Köpfe ausgewechselt wurden, sondern weil die jungen Menschen in den Regionen auf die Strasse gingen, sich gegen die Jahrzehnte andauernde Herrschaft derselben Parteienkoalition wehrte und für mehr Rechte kämpfte. Immer wieder wurden die Proteste niedergeschlagen oder bereits im Keim erstickt. Ab 2015 weiteten sich die Demonstrationen landesweit aus – ausgehend vom Städtchen Ambo, drei Busstunden von Addis Abeba entfernt.

Wir haben Abiy Ahmed an die Macht gebracht.
Autor: Urgessa Damena Student

Zu den Demonstranten gehörten auch Urgessa Damena Kumra, Shentema Kenea Gemene, Abdeta Betiri Bersisa und Wayu Beka Galera. Die Männer Mitte zwanzig sind Studenten, ein Bankangestellter, ein Handwerker. Sie sitzen in einem Restaurant in Ambo und trinken Kaffee mit Butter und Salz. «So trinken wir Oromo unseren Kaffee, erklärt der 23-jährige Shentema Kenea Gemene.

Die Oromo sind die grösste Volksgruppe Äthiopiens, sie macht rund einen Drittel der Bevölkerung aus. Die vier Männer sind noch jung, und doch sprechen sie von einem uralten Gefühl, von anderen Ethnien unterdrückt zu werden.

Mann mit Anhänger. Dahinter sitzt ein Mann und trinkt Kaffee.
Legende: Stolz auf seine Kultur: Shentema Kemea Gemene trägt den «Odaa»-Baum als Anhänger um seinen Hals, das Symbol der Oromo. SRF/Anna Lemmenmeier

Und noch mehr Wert als auf ihre ethnische Herkunft legen die vier Männer auf ihr Selbstverständnis als «Qeerroos», wie die Oromo junge, unverheiratete Männer nennen. «Wir haben Abiy Ahmed an die Macht gebracht», unterstreicht der 26-jährige Urgessa Damena Kumra. Sie, die Qeerroos führten die Proteste an, die dazu führten, dass mit Abiy Ahmed zum ersten Mal ein Oromo zum Regierungschef gekürt wurde. Sie sind dementsprechend stolz darauf, dass man deshalb auch von der «Qeerroo-Revolution» spricht.

Das Misstrauen der Anhänger

Doch in den Stolz mischt sich Skepsis: Abiy müsse nun zeigen, dass er alle Äthiopier einbeziehe, politisch wie wirtschaftlich. «Bis jetzt hat er uns noch nicht ganz überzeugt. Viele unserer Freunde sitzen weiter im Gefängnis», sagt Urgessa Damena Kumra.

Er weiss, wovon er spricht. Wie viele andere Äthiopier wurde er und seine drei Kollegen in den letzten Wochen aus dem Gefängnis entlassen – als Teil der Versöhnungsstrategie des neuen Premiers.

Die Regierung hat uns als Terroristen abgestempelt.
Autor: Shentema Kenea Student

Das Misstrauen in die Regierung ist bei den Männern nicht verflogen. «Die Regierung hat uns als Terroristen abgestempelt», erzählt Shentema Kenea Gemene. Sein Verbrechen: er hatte demonstriert. Und zusammen mit anderen Studierenden mehr politische Mitsprache verlangt, mehr Arbeitsmöglichkeiten und weniger Dominanz der Tigray.

Herrschaft einer Minderheit

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Die Partei Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) führte die Parteienkoalition EPRDF über Jahre an. Für diese Dominanz hat der ehemalige äthiopische Premierminister Meles Zenawi gesorgt. Er gehörte selbst der Ethnie der Tigray an und regierte Äthiopien von 1995 bis 2012. Die Tigray machen nur sechs Prozent aus im Vielvölkerstaat Äthiopien (siehe Infografik). Sie sind äthiopisch-orthodoxe Christen.

Das reichte der Regierung, die Männer als Terroristen zu bezeichnen. Und sie ging brutal gegen sie vor. Die Polizei tötete Hunderte Demonstrierende und steckte Tausende ins Gefängnis, wo sie misshandelt wurden.

Auch Urgessa Damena Kumra. «Im Gefängnis wurde ich so sehr gefoltert, dass ich nicht mehr richtig sehe und nicht mehr richtig höre», erzählt er. Auch die anderen Männer berichten von Folterungen, von Freunden, die im Gefängnis starben. Von Kastrationen.

Mann mit Anhänger.
Legende: Urgessa Damena Kumra zeigt seinen Talisman in Form der Umrisse seiner Heimatregion Oromia. SRF/Anna Lemmenmeier

Zwölf Jahre hat Urgessa Damena Kumra insgesamt im Gefängnis gesessen. Er fühlt sich seines Lebens beraubt. «Der Junge, der da drüben sitzt, der war mal mein Klassenkamerad. Mittlerweile verdient er sein Geld als Lektor an der Universität. Ich habe noch nicht einmal meine Ausbildung abgeschlossen.» Er äussert im Kleinen, was seine Generation im grossen Ganzen spürt: das Gefühl, nicht teilhaben oder mitreden zu können. Nicht nur politisch, auch wirtschaftlich.

Die Revolution ist erst der Beginn

Der Vielvölkerstaat Äthiopien brennt an vielen Ecken und Enden. Die Luft, die Abiy Ahmed mit seinem weniger repressiven Gebaren ins System gelassen hat, liess alte ethnische Konflikte aufflammen.

Abiy versucht nun, die panäthiopischen Gefühle wieder zu wecken, den äthiopischen Nationalismus, nicht denjenigen der einzelnen Bevölkerungsgruppen.
Autor: Asnake Kefale Politologe

Darum sei der Friedensdiskurs so wichtig, ist der Politologe Kefale überzeugt: «In den 27 Jahren EPRDF hat die Regierung auf die ethnischen Unterschiede fokussiert. Abiy versucht nun, die panäthiopischen Gefühle wieder zu wecken, den äthiopischen Nationalismus, nicht denjenigen der einzelnen Bevölkerungsgruppen.» Das sei Teil des Heilungsprozesses.

Nicht nur den Vielvölkerstaat muss der neue Premier zusammenhalten, auch die eigene Regierungskoalition. Denn nicht alle sind begeistert von den blitzartig durchgeführten Reformen. An einer Kundgebung zu Abiy Ahmeds Ehren im Juni dieses Jahres wurde ein Attentat auf ihn versucht. Wer dahinter steckt ist unklar.

Männer halten weisse T-Shirts in die Luft.
Legende: Löst bei vielen Äthiopiern Begeisterung aus: Strassenhändler in Addis Abeba verkaufen T-Shirts mit dem Konterfei von Abiy Ahmed. SRF/Anna Lemmenmeier

Doch der Lackmustest für Abiy Ahmed werden die Wahlen in zwei Jahren sein. Er hat Demokratie versprochen. Ein Mehrparteiensystem.

Demokratie in Äthiopien? Das fordere alle Seiten, unterstreicht Kefale: Die Regierung müsse die Gesetze so gestalten, dass alle mitmachen könnten, die Zivilgesellschaft, die Medien. Die Oppositionsparteien müssten die Anliegen, welche die jungen Leute, die Qeerroos mit den Protesten ausdrückten, in eine politische Agenda umwandeln. «Wenn das nicht geschieht, werden wir bald wieder dort sein, wo wir Anfang Jahr waren. Beim autoritären Regime.»

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