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Fredy Gsteiger
Legende: Fredy Gsteiger ist Sicherheitsexperte und Mitglied der Chefredaktion von Radio SRF. SRF
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Aufrüstung statt Abrüstung «Eine Welt ohne Atomwaffen ist weiter weg denn je»

1987 unterschrieben die USA und die Sowjetunion einen historischen Abrüstungsvertrag. Jetzt könnte er Makulatur werden. Eine Welt ohne Atomwaffen bleibt eine Utopie, sagt SRF-Sicherheitsexperte Fredy Gsteiger.

Beim Thema Atombomben denkt man dieser Tage unweigerlich an Nordkorea, und im gleichen Atemzug an die USA: Die jeweiligen Staatsführer erörterten zuletzt, wer den grösseren roten Knopf hat. Im Kalten Krieg war die atomare Gefahr ungleich näher.

Die USA und die Sowjetunion setzten Atomwaffen als Droh- und Druckmittel ein. Der Vertrag über nukleare Mittelstreckensystem (INF-Vertrag) aus der Endphase des Kalten Krieges galt denn auch als einer der wichtigsten Abrüstungsverträge. Allerdings: 30 Jahre nach seinem Inkrafttreten könnte er nun Makulatur werden.

SRF News: Welche Hinweise gibt es, dass dieser Vertrag, der ja die Vernichtung von Kurz-und Mittelstreckenraketen beinhaltet, nicht mehr lange gültig sein wird?

Fredy Gsteiger: Man hat ganz generell den Eindruck, dass beide Seiten – Moskau und Washington – nicht mehr wirklich grosses Interesse am Fortbestand dieses Vertrages haben. Der russische Präsident Wladimir Putin hat das bereits vor zehn Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz angedeutet, als er gesagt hat, eigentlich sei der Vertrag nicht mehr wirklich im russischen Interesse.

Der enorm wichtige Vertrag hängt nur noch an einem sehr dünnen Faden. Er könnte im laufenden Jahr zur Makulatur werden.

Seit drei Jahren gibt es nun gegenseitige Schuldzuweisungen. Die Amerikaner sagen, Russland habe bereits wieder atomare Mittelstreckenraketen getestet. Die Russen behaupten ihrerseits, die Amerikaner hielten sich nicht mehr an den Vertrag. Spätestens seit vergangenem Jahr deutet vieles darauf hin, dass Russland solche Waffen nicht nur getestet, sondern damit sogar Bataillone ausgerüstet hat. Zudem sprechen die Amerikaner wieder Gelder für die Entwicklung der Raketen. Das heisst: Der enorm wichtige Vertrag hängt nur noch an einem sehr dünnen Faden. Er könnte im laufenden Jahr zur Makulatur werden.

Unterzeichnet wurde der Vertrag 1987. Warum war damals ein solch weitreichender Vertrag überhaupt möglich?

Es war eine andere Zeit mit einer anderen Atmosphäre. Beim ersten Treffen zwischen dem damaligen amerikanischen Präsidenten Reagan und dem russischen Parteichef Gorbatschow in Genf herrschte eine Art Aufbruchstimmung, das Ende des Kalten Krieges zeichnete sich schon ein bisschen ab.

-Praesident Ronald Reagan (l) und der sowjetische Ministerpraesident Michail Gorbatschow stossen am 8. Dezember 1987 in Washington auf den von den USA und der UdSSR unterzeichneten INF-Vertrag an
Legende: 1987 stiessen US-Präsident Reagan (links) und der sowjetische Ministerpräsident Gorbatschow auf das Abkommen an. Keystone

Gorbatschow war entscheidend dafür, dass ein solcher Vertrag überhaupt möglich war. Denn für Russland waren Nuklearwaffen immer fast noch wichtiger als für die Amerikaner. Atomwaffen machten die damalige Sowjetunion zur Supermacht, in anderen Rüstungsbereichen hinkte Moskau immer ein Stück weit hinterher. So gelang es nach siebenjährigen Verhandlungen, diesen Durchbruch feiern zu können.

Der historische Abrüstungsvertrag INF

Als «INF-Verträge» (Intermediate Range Nuclear Forces, zu deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme) oder als «Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme» bezeichnet man die bilateralen Verträge über die Vernichtung aller Flugkörper mit mittlerer und kürzerer Reichweite (500 bis 5500 Kilometer) und deren Produktionsverbot zwischen der Sowjetunion und den USA vom 8. Dezember 1987. Der Vertrag trat am 1. Juni 1988 in Kraft trat. Neue Waffen dieser Kategorie wurden verboten. Weil die Vernichtung von zwei Raketentypen vereinbart wurde, wird auch von einer «doppelten Nulllösung» gesprochen.

US-Präsident Ronald Reagan sagte damals im Weissen Haus: «Zum ersten Mal in der Geschichte wird die Sprache der Rüstungskontrolle ersetzt durch Abrüstung. Indem eine ganze Klasse von amerikanischen und sowjetischen Atomwaffen abgeschafft wird.» Es war tatsächlich ein historischer Moment, weil es erstmals gelang, nicht nur Rüstungsbegrenzungen festzuschreiben, sondern ein ganzes Waffensystem abzuschaffen.

Selbst in der theoretischen Debatte gibt es wieder vermehrt Stimmen die sagen, Atomwaffen sind nicht überflüssig, sondern sie dienen der Stabilisierung der Welt.

Wenn der INF-Vertrag gebrochen wird, was passiert dann? Zurück zum atomaren Wettrüsten?

Diese Gefahr ist durchaus realistisch, gerade vor dem Hintergrund der derzeit grossen Spannungen zwischen Washington und Moskau. Europa könnte wiederum die Stationierung von hunderten Atomwaffen drohen, mit den neuesten Geräten in diesem Bereich. Das zweite Problem: Vor zehn Jahren wurde der «New Start»-Vertrag zwischen Russland und den USA mit grossem Enthusiasmus gefeiert. Dieser läuft aber 2021 aus. Sollte der INF-Vertrag hinfällig werden, ist die Chance, dass der «New Start»-Vertrag verlängert wird, sehr gering. Auch weitere Abrüstungsverträge, auf die man bisher hoffen könnte, würden wahrscheinlich fast chancenlos sein.

Heisst das alles: Die Welt ist weiter weg denn je von der Utopie, ohne Atomwaffen zu sein?

Das muss man im Moment so sagen. Zwar hat Ican, eine Organisation, die für ein Verbot von Atomwaffen kämpft, vergangenes Jahr den Friedensobelpreis erhalten. Im Grunde genommen läuft die Entwicklung aber nicht Richtung Abschaffung. Selbst in der theoretischen Debatte gibt es wieder vermehrt Stimmen die sagen, Atomwaffen sind nicht überflüssig, sondern sie dienen der Stabilisierung der Welt.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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