Der französische Präsident Emmanuel Macron schliesst seinen zweitägigen Besuch auf der Mittelmeer-Insel Korsika ab. Nach dem klaren Sieg der Nationalisten bei den Regionalwahlen war der Präsident bemüht, eine Basis des Vertrauens zu schaffen, um in den kommenden Monaten über mehr politische Autonomie Korsikas zu reden.
Keine Amnestie für Ergignags Mörder
Wie komplex alle Fragen um eine Sonderstellung Korsikas innerhalb der französischen Republik sind, zeigte sich schon gestern, am ersten Tag von Macrons Besuch auf der Insel. Am Morgen sprach der Präsident zum Gedenken an den 1998 ermordeten Präfekten Claude Ergignag. Der Forderung nach einer Amnestie für verurteilte Nationalisten erteilt er eine Absage.
Am Abend dann schüttelt er die Hand der Frau jenes Mannes, der Ergignac erschoss, Yvan Colonna. «Mein Sohn hat seinen Vater seit 18 Monaten im Gefängnis nicht mehr besuchen können. Ich bitte Sie, daran etwas zu ändern», bittet die Ehefrau von Yvan Colonna. Der Präsident zeigt Verständnis und signalisiert Entgegenkommen.
Mehr Autonomie wäre nicht das Problem
Die Szene zeigt, dass das politisch heikle Dossier Korsika seit Jahren emotional und symbolisch überfrachtet ist. Beide Seiten, die Nationalisten und die Vertreter des französischen Zentralstaates, müssen jede Aussage auf die Goldwaage legen und werden trotzdem regelmässig falsch verstanden. Korsika mehr Autonomie zu gewähren, wäre eigentlich das kleinste Problem.
In vielen Punkten gibt es gemeinsame Vorstellungen, wie für beide Seiten eine politisch befriedigende Lösung gefunden werden könnte: In der Wirtschaftspolitik, bei der Frage, welchen Status die korsische Sprache haben kann, in der Umweltpolitik, Wohnbaupolitik und in Verkehrsfragen.
Zu absoluter Forderungskatalog der Nationalisten
Doch das grosse Problem sind die überhöhten Erwartungen. Der absolut formulierte Forderungskatalog der Nationalisten verträgt sich schlecht mit einer Politik der kleinen Fortschritte, für welche Macron zum Schluss seines Besuches heute Nachmittag in Bastia plädierte.
Der Präsident ist bereit, die Besonderheit der Region Korsika in die Verfassung zu schreiben. In diesem Punkt erfüllt Macron die Erwartungen der Nationalisten. Er anerkennt auch die Bedeutung der korsischen Sprache. Er will sie weiter fördern. Auch da reicht er den Nationalisten die Hand.
Ansonsten erteilte der Präsident den Nationalisten – höflich aber bestimmt – vor allem Absagen. Er kann es sich leisten, weil die Verhandlungen erst beginnen und noch lange andauern werden.
Der Konsens im Kleinen ist nötig
Parallel dazu muss die neugewählte Regionalregierung erst einmal zeigen, ob sie fähig ist, die bereits bestehenden Kompetenzen der Region im Interesse der Einwohner Korsikas zu nutzen. Die wirtschaftliche und politische Zukunft der Insel lässt sich nicht innert zweier Tagen regeln.
Der Besuch Macrons in Korsika hat das deutlich gezeigt. Im besten Fall anerkennen beide Seiten dies als entscheidenden Vorteil. Denn Korsika braucht nicht emotional aufgeladenen Grundsatzdebatten, sondern grosse politische Leidenschaft, den Konsens im Kleinen zu finden, im Hinterzimmer, am Verhandlungstisch.