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Besuch in Ramsgate Die Küstenstadt, die den Brexit unbedingt wollte

In der englischen Hafenstadt hatten über 60 Prozent für den Brexit gestimmt. Ein Augenschein vor Ort.

Am Mittag im Hafen von Ramsgate ist es warm. Die Boote glänzen in der Sonne und Autofahrer suchen Parkplätze. Mütter und Väter gehen mit ihren Kindern an der Hand zum Strand. Hinter einem Keyboard steht Richard. Sein Sacco ist zerrissen und sein T-Shirt voller Flecken. Vor ihm steht ein schwarzer Putzkübel mit wenigen Münzen drin. Er mache Musik, um ein paar Pfund dazu zu verdienen, sagt er.

Richard hat für den Brexit gestimmt. Grossbritannien müsse wieder Kontrolle über das Land gewinnen, meint er. Es gehe doch nicht, dass die EU den Briten vorschreibe, was sie im eigenen Land tun sollen.

Grossbritannien müsse raus aus der EU. Wenn es wirklich zu einer zweiten Abstimmung über den Brexit komme, dann stimme er für einen ungeregelten Austritt aus der EU, für «No Deal». Angst habe er keine, wenn es kein Abkommen gebe, sagt Richard noch, bevor er weiterspielt. Das Land gehe nicht unter.

Bierdeckel gegen die EU

Autos fahren an Richard vorbei zum Parkplatz hinter dem neuen, grossen Pavillon, den die britische Pub-Kette Wetherspoons für sechs Millionen Franken hat renovieren lassen. Der Wetherspoon-Gründer ist EU-Gegner. Er hat vor der Abstimmung vor drei Jahren für seine Pubs Bierdeckel drucken lassen. Auf diesen forderte er die Briten auf, für den Brexit zu stimmen. In Ramsgate haben das über 60 Prozent getan.

Susie gehört nicht zu ihnen. Sie betreibt in Ramsgate einen Laden mit Geschenkartikeln. Der Laden fällt in der Hauptgasse der Hafenstadt auf. Sonst sind hier viele Geschäftslokale leer und einige Schaufenster sind gar mit Holzbrettern zugenagelt. Überall sind «Zu vermieten»-Schilder. Vor einigen Häusern türmt sich der Abfall.

Susie hat gegen den Brexit gestimmt. Wie viele andere in Ramsgate auch, betont sie. Es sei doch seltsam, wenn man hier für den Austritt aus der Europäischen Union sei. Wenn man auf dem Kliff über dem Hafen stehe, könne man Frankreich sehen: «Wir sind so nahe an Europa. Das ist ja gerade das Schöne hier. Aber viele in Ramsgate schauen halt nicht über den Tellerrand.»

Der Hafen wird nicht wiederbelebt

Auf dem Kliff steht nun ein Rentnerpaar. Es ist Susan mit ihrem Mann und ihrem Hund. Die beiden schauen nicht nach Frankreich. Sie zeigen hinunter auf den Fährhafen von Ramsgate, der vor sechs Jahren stillgelegt wurde. Früher sei hier viel los gewesen, erzählt Susan.

Es habe Pläne gegeben, den Fährhafen wiederzubeleben, um den Hafen von Dover im Fall eines «No Deal» zu entlasten. Die britische Regierung habe einen 18 Millionen-Franken-Vertrag an eine Reederei vergeben, bis bekannt wurde, dass die Reederei gar keine Schiffe besass. «Und der stillgelegte Fährhafen in Ramsgate ist zu flach und zu klein für einen Fährbetrieb wie in Dover. Da hätten sie einmal mehr dumm ausgesehen.» Das sei typisch dafür, wie es mit dem Brexit laufe, sagt Susan. Sie traue keinem Politiker mehr.

«Pure Angstmacherei»

Sie habe schon gar keine Lust mehr, zu wählen. Beim Brexit sei sie selbstverständlich an die Urne gegangen. Sie habe für den Austritt gestimmt. Aber das Ergebnis werde nicht akzeptiert. Die Politiker versuchten, das Resultat wieder zu kippen. Sie wollten die Briten mit Schreckensszenarien verunsichern, falls es kein Abkommen gebe. Das sei pure Angstmacherei, findet Susan.

Grossbritannien habe zwei Weltkriege überstanden und sich zweimal wieder aufgerappelt. Sie sei sicher, dass Grossbritannien auch einen EU-Austritt meistern würde. Darum will Susan nur noch eins: «Raus aus der EU! Sofort!»

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