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Camp mit 200'000 Flüchtlingen Dadaab: das dornige Gefängnis

Die Menschen im Flüchtlingscamp Dadaab sind aus Somalia geflüchtet. Sie dürfen nicht weiter – können aber auch nicht zurück.

Die kleine Sahlan blinzelt durchs Moskitonetz. Ein Leben voller Ungewissheit erwartet das Mädchen. Sahlan wird ihr Schicksal vielleicht nie selbst bestimmen können. So geht es den meisten Flüchtlingen im Lager Dadaab.

Eine Frau im Flüchtlingslager Dadaab stillt ein Kind.
Legende: Mariam Abdi Hassan hat im Camp Hagadera, einem Teil des Flüchtlingslagers Dadaab, soeben eine Tochter zur Welt gebracht. Ihr Name lautet Sahlan – «Geschenk». SRF / S. Burri

Sahlans Mutter Mariam Abdi Hassan (20) kam bereits im Flüchtlingslager zur Welt. Sie hofft, dass Sahlan dereinst mehr Freiheiten hat. Auch der Vater, Mohamed Abdi Aden (26), wurde hier geboren. Er erklärt: «Das Reisen ist mir als Flüchtling verboten. An der ersten Strassensperre der Polizei werde ich zurückgeschickt.»

Ein Eselskarren im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia.
Legende: Das Leben im Lager von Dadaab ist geprägt von Armut und Entbehrung. SRF / S. Burri

Ein offenes Gefängnis

Dadaab besteht aus hunderten von Zelten, Hütten und Häusern. Über 200'000 Menschen leben hier, ihre Grundstücke sind umgeben von Zäunen aus Dornbüschen. «Stadt der Dornen» nennt der Buchautor Ben Rawlence das Lager deswegen.

Der Arzt Suleiman Ali Omar im Camp Hagadera, im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab.
Legende: Der Arzt Suleiman Ali Omar führt hier eine Apotheke, im Hinterzimmer untersucht und behandelt er Patienten. SRF / S. Burri

Der Arzt Suleiman Ali Omar lebt seit der Gründung des Lagers in den 1990er-Jahren hier. «Es ist ein offenes Gefängnis», sagt er.

Im Lager erhalten die Menschen eine Grundversorgung an Essen, Bildung und Medizin. Das reicht ihnen zum Überleben, doch zum Leben ist es nicht genug.

Ein Mann im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia kauft Tomaten an einem Stand.
Legende: Mohamed Abdi Aden kauft auf dem Markt für seine Familie Kartoffeln, Zwiebeln und Tomaten. Sie ergänzen die Nahrungsmittelhilfe des Welternährungsprogramms WFP. SRF / S. Burri

Vater Mohamed sagt, es fehle vor allem an Arbeit. Mohamed musste seinen Lebensmittelladen aufgeben. Wegen der Schwangerschaft seiner Frau hatte er nicht mehr genügend Zeit, sich um den Laden zu kümmern – er wurde zum Verlustgeschäft.

Eselskarren und Kamelmilch-Handel

Im abgelegenen und heissen Dadaab gibt es für die Flüchtlinge fast keine Möglichkeit, wirtschaftlich voranzukommen. Viele versuchen sich im Kleinhandel. Dutzende Frauen sitzen am Strassenrand und kochen Kamelmilch auf, die sie später verkaufen – Somali trinken ihren Tee mit Kamelmilch.

Verkäuferin auf einem Markt im Camp Hagadera.
Legende: Handel ist eine der wenigen Möglichkeiten, um in Dadaab Geld zu verdienen. SRF / S. Burri
Verkäuferin auf dem Markt von Hagadera.
Legende: Die Verkäuferin auf dem Markt von Hagadera ist Somalierin. Wie viele Somalierinnen verschleiern sie ihr Gesicht fast vollständig. SRF / S. Burri

Die Männer betreiben kleine Geschäfte oder transportieren mit Eselskarren Waren. Produziert wird im Lager nur wenig. Arbeitsstellen bieten praktisch nur die zahllosen Hilfsorganisationen. Viele Bewohner erhalten Überweisungen von Verwandten im Ausland.

Frau sitzt vor einer Hütte im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia.
Legende: Eine Frau verkauft Kamelmilch und Süssigkeiten am Strassenrand. Die Güter im Lager Dadaab sind sehr begrenzt. SRF / S. Burri
Auf einem Eselkarren im Flüchtlingslager Dadaab werden Wasserkanister transportiert.
Legende: Eselkarren sind das Haupttransportmittel. Mit ihnen wird zum Beispiel Wasser in Kanistern im Camp verteilt. SRF / S. Burri

Essensrationen werden kleiner

Einmal im Monat erhalten die Flüchtlinge ihre Lebensmittelration vom Welternährungsprogramm (WFP). Eine Familie mit drei Personen hat Anspruch auf 26 Kilogramm Reis und 5 Kilogramm Linsen, dazu kommen ein Kilogramm Salz und drei Liter Öl. «Das reicht nicht für meine Familie», sagt Mohamed. Auf dem Markt kauft er einige Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln dazu – wenn das Geld reicht.

Essen holen einmal im Monat

Die Essensrationen in Dadaab sind kleiner geworden. Im September musste das Welternährungsprogramm die Nahrungsrationen um über ein Viertel verkleinern, es fehlte das Budget. Das wiederum spielt der Regierung Kenias in die Hände, welche das Flüchtlingslager eigentlich schliessen will.

Eine Frau sitzt hinter einem Gitter und verkauft Fleisch.
Legende: Fleisch hinter Gittern: Die hygienischen Zustände auf dem Markt von Hagadera sind schlecht, Krankheiten wie Cholera oder Typhus verbreiten sich rasch im Flüchtlingslager. SRF / S. Burri

Basis für Terroristen?

Dem Staat Kenia ist das Flüchtlingslager ein Dorn im Auge. Die Regierung glaubt, dass es der somalischen Terrormiliz al-Shabaab als Basis dient. Al-Shabaab verübt immer wieder grössere Terrorattacken in Kenia – zuletzt im Januar 2019 in Nairobi.

Das Flüchtlingslager Dadaab

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Im Lager von Dadaab leben derzeit 200'000 registrierte Flüchtlinge. Es entstand 1991, als viele Menschen vor dem Bürgerkrieg in Somalia flüchten mussten. Im Jahr 2011 flüchteten aufgrund einer Dürre erneut zahllose Somali nach Kenia. Damals wurde Dadaab zum grössten Flüchtlingslager der Welt mit über einer halben Million Bewohnern.

Dadaab ist in mehrere Camps unterteilt. In den älteren Camps wie Hagadera sind die Zelte der Flüchtlinge längst Hütten und Häusern gewichen. Im Zentrum befindet sich ein grosser Markt.

Kenias Regierung möchte das Flüchtlingslager schliessen. Sie befürchtet, dass Dadaab als Basis für Terroristen der al-Shabaab-Miliz dient. Diese verübt immer wieder Anschläge in Kenia und Somalia.

Drei Schildertafeln am Rand des Flüchtlingslagers Dadaab in Kenia.
Legende: Dutzende von Hilfsorganisationen und die UNO sind im Flüchtlingslager Dadaab aktiv. SRF / S. Burri
Tfel des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR.
Legende: Das Lager Dadaab mit mehreren Camps wird vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geführt. SRF / S. Burri

Doch das grösste Problem ist die Terrormiliz in Somalia. In vielen Regionen regiert al-Shabab – oder verbreitet zumindest Angst und Schrecken. Solange in Somalia keine Sicherheit herrscht, wollen die meisten Bewohner des Flüchtlingslagers nicht nach Hause zurückkehren.

Eine traditionelle Gemeinschaft

Aus dem Camp Hagadera im Lager Dadaab hat sich seit der Gründung 1991 eine kleine Stadt entwickelt. Zwischen den Dornbuschzäunen tragen Mädchen Wasserkanister nach Hause.

Dadaab ist wie Somalia selbst traditionell konservativ. So sind die Rollen in der somalischen Gesellschaft klar verteilt.

Junges Mädchen steht in der Tür.
Legende: Frauen machen andere Arbeiten als Männer. Junge Frauen im Flüchtlingslager Dadaab arbeiten in der Küche und am Waschtrog. SRF / S. Burri

Frauen und Mädchen arbeiten im Haus, kochen, putzen, waschen. Die Jungs treffen sich zum Fussballspiel auf einem sandigen Platz, solange es nicht zu heiss ist.

Ein paar Knaben spielen Fussball im Flüchtlimgslager Dahaab in Kenia.
Legende: Knaben haben es insgesamt etwas komfortabler als Mädchen. Währen die Knaben dem Ball nachjagen, helfen die Mädchen in der Familie. SRF / S. Burri

Krankheiten nehmen zu

Mariam und Tochter Sahlan haben Besuch erhalten. Nachbarinnen schauen vorbei, diskutieren über Geburtserfahrungen. Mariam brachte Sahlan im Spital des Lagers zur Welt. Andere Frauen haben Hausgeburten hinter sich.

Sahlan liegt unterdessen unter einem kleinen Zelt aus Moskitonetz. «Die Moskitos kommen auch am Tag», klagt eine der Frauen. Die Mücken übertragen Krankheiten wie Malaria. Doch im Flüchtlingslager ist vor allem die Hygiene ein Problem, immer wieder kommt es zu Ausbrüchen von Typhus oder Cholera.

Natürlich würde ich gerne einen besseren Service bieten.
Autor: Suleiman Ali Omar Arzt

Der Arzt Omar behandelt seine Patienten auf einem Holztisch mit Matratze in einem Hinterzimmer. Seine Ausrüstung ist rudimentär, oft muss er improvisieren. «Natürlich würde ich gerne einen besseren Service bieten», gesteht er. In den letzten 25 Jahren sei die Gesundheit der Menschen im Lager schlechter geworden, erzählt der Arzt: «Wenn die Kinder weniger zu essen erhalten, sind sie öfters krank.»

«Vielleicht werde ich hier sterben.»

Wie alle im Lager hofft auch der 54-jährige Arzt darauf, dass er irgendwann doch noch in Europa oder Nordamerika als Flüchtling anerkannt wird. Dort wäre das Leben besser als im kargen und heissen Nordosten Kenias. Doch die Umsiedlung von Flüchtlingen wurde in den letzten Jahren praktisch eingestellt.

Der grauhaarige Mann schaut auf die staubige Strasse vor seiner Praxis und kratzt sich nachdenklich am Bart: «Vielleicht werde ich hier sterben. Viele, die mit mir ankamen, sind unterdessen tot.»

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