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International «Charlie Hebdo»: Mehr als blosse Provokation

«Charlie Hebdo» lotet die Grenzen des Sagbaren aus, provoziert alles und jeden. Das Satiremagazin kämpft damit gegen ein Übermass an politischer Korrektheit an, sagt Frankreich-Kenner Jürg Altwegg.

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Jürg Altwegg zu Charlie Hebdos Rolle als Satiriker
aus SRF 4 News aktuell vom 08.01.2015.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 33 Sekunden.

«In Frankreich gibt es eine Diktatur der politischen Korrektheit», meint der Feuilleton-Korrespondent der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», Jürg Altwegg. Sichtbar werde dies am Umgang mit Michel Houellebecqs neuem Roman.

Darin skizziert das Enfant terrible der französischen Literatengilde ein Szenario, in dem eine links-bürgerliche Allianz den ersten muslimischen Präsidenten Frankreichs ins Amt hievt. Nur um die Machtergreifung der Rechtspopulistin Marine le Pen zu verhindern. Die unbeabsichtigte Folge des Handelns der vereinigten Demokraten: Frankreich wird «islamisiert».

Wider die politische Korrektheit

Das Satiremagazin «Charlie Hebdo» machte das umstrittene Werk zum Aufmacher seiner neuesten Ausgabe – Provokation der Provokation wegen? «Das Blatt mag, wie die ganze Branche, Leserschwund verzeichnet haben. Und vielleicht hat es das Thema (Islamismus, Anm. d. Red.) ein wenig überstrapaziert.» Doch das sei nicht der eigentliche Antrieb der Satiriker: «Sie sind Provokateure, sie blöken gegen alles, auch gegen die politische Korrektheit.»

Zur Person

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Jürg Altwegg (geb. 1951) studierte Französisch, Deutsch und Geschichte. Er ist Kulturkorrespondent für verschiedene Zeitungen, seit 1988 Redaktor mit Sitz in Genf. Altwegg ist Autor mehrerer Bücher und widmet sich in seinem Werk u.a. dem Spannungsverhältnis zwischen der deutschen und der frankophonen Welt. Er lebt in Frankreich nahe Genf.

Und genau diese nimmt in Frankreich problematische Auswüchse an, so Altwegg: «Das neue Buch von Houellebebecq ist meines Erachtens nicht islamophob. Aber es nimmt sich Freiheiten heraus, die heute in Frankreich zu einer ‹Exkommunikation› führen.»

Ständig gebe es politische Skandale, die nur darauf beruhten, dass irgendjemand in irgend einer Form die Etikette der Political Correctness verletzt hätte: «Die Bandbreite der Meinungsäusserung ist sehr schmal geworden.»

Provokation mit Tradition

Satiremagazine wie «Charlie Hebdo» hätten es sich zur Aufgabe gemacht, dagegen vorzugehen: «Sie glauben an das, was sie tun. Satiriker haben in Frankreich eine lange Tradition, die auf die Zeit der Monarchie zurückgeht.» In diesem totalitären System seien sie die einzigen gewesen, die «die Wahrheit sagten» – und das bis zu einem gewissen Grad auch durften.

Genau deswegen seien Satiremagazine auch heute nicht überflüssig, sondern hätten nach wie vor gesellschaftliche Bedeutung. Dass sich das Magazin mit Vorliebe dem Wespennest «Islamismus» annahm, mag aus dieser Warte nachvollziehbar sein: «Sie wollten sich keinen Maulkorb anlegen lassen», so Altwegg.

Beissende Kritik – gegenüber allen

Mit einer Kampagne gegen Muslime oder den Islam habe dies aber nichts zu tun: «Charlie Hebdo provoziert alles und jeden. Natürlich ist es immer heikel, wenn es um Religionen geht. Aber auch mit der Kirche gingen sie unzimperlich um, haben etwa den deutschen Papst Benedikt als Nazi dargestellt. Auch gab es Prozesse von jüdischen Kreisen.»

Zu Zeiten des Algerienkrieges sei das Vorgängerblatt von «Charlie Hebdo» sogar verboten gewesen. Die Grenzen des Sagbaren wurden also schon früher ausgelotet – und teils gesprengt. Die Arbeit mit spitzer Feder und derbem Humor gehört demnach zum Gencode der «anarchistischen, engagierten Zeitung».

Frankreich befindet sich in einem Zustand totaler Verwirrung.
Autor: Jürg Altwegg FAZ-Korrespondent

Frankreich, wirtschaftlich weit entfernt vom eigenen Grossmachtanspruch, gesellschaftlich vor ungelösten Herausforderungen, befinde sich «in einem Zustand totaler Verwirrung.» Dies zeigten auch viele Reaktionen, so Altwegg. Der Frankreichkenner erwartet denn auch, dass durch die tragischen Ereignisse ein Ruck durch die französische Gesellschaft geht – und auch das ganze Klima im Land hinterfragt werde.

So muss mit dem «Anschlag auf die Meinungsfreiheit» wohl auch deren Gretchenfrage neu verhandelt werden: Was darf in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gesagt werden – und was nicht?

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