Die Stationen im Leben Che Guevaras
Freiheitskämpfer, Mörder, Pop-Ikone. Che Guevara ist eine der bekanntesten und kontroversesten Figuren des 20. Jahrhunderts. Vor 50 Jahren wurde er von der bolivianischen Armee getötet. Sein Tod machte ihn zur mystischen Figur.
Doch wie denken die Kubaner ein halbes Jahrhundert später über ihren Nationalhelden? Der in Havanna lebende Schweizer Journalist Oscar Alba kennt die Verhältnisse im Land genau. Ein Gespräch über Heldenverehrung in einer Diktatur und die Hierarchien in Kubas Ahnengalerie der toten Revolutionshelden.
SRF News: Oscar Alba, wie wird der 50. Todestag Che Guevaras in Kuba begangen?
Oscar Alba: Ches Tod ist in Kubas Staatsmedien seit Anfang Jahr ein Thema. Es werden regelmässig Geschichten und Episoden vom «heldenhaften Guerillero» abgedruckt und ikonische Fotos veröffentlicht. Beispielsweise, wie Che an vorderster Front mit einer Machete auf den Zuckerrohrfeldern arbeitet.
Die Parteizeitung «Granma» druckt zudem in einer Serie Auszüge aus Che Guevearas Tagebuch aus Bolivien ab – seiner letzten gescheiterten Mission, Kubas Revolution nach Südamerika zu exportieren. Und sein berühmtes Konterfei ist noch heute auf der kubanischen Drei-Peso-Note sowie auf der Drei-Peso-Münze abgebildet – zwei beliebte Souvenirs bei Touristen.
Sind spezielle Feierlichkeiten geplant?
«Granma» schrieb schon mehrmals von «anstehenden Feierlichkeiten im Monat Oktober». Die Regierung hat bis jetzt noch nicht informiert, was da konkret geplant ist. Wahrscheinlich wird es einen, vielleicht auch mehrere offizielle Akte in der Stadt Santa Clara geben, wo das Che-Mausoleum steht. Dieses wurde in den letzten Monaten totalrenoviert und auf Hochglanz herausgeputzt. Kuba gedenkt neben des 50. Todestages auch dem 20-Jahr-Jubiläum von Che Guevaras Rückkehr nach Kuba: 1997 wurden nach längeren Ausgrabungsarbeiten in Bolivien die letzten gefundenen Überreste von Che nach Kuba gebracht. Die Knochen liegen in dieser Gedenkstätte.
Werden diese Feiern komplett von der Staatsführung orchestriert?
Feierlichkeiten zu Ehren von toten Helden der Revolution werden in Kuba immer und ausschliesslich von der Staatsführung organisiert und orchestriert. Je nach Art des Anlasses werden handverlesene Gäste eingeladen, oder das Volk wird in Massen mobilisiert.
Gedenken die Leute auch auf eigene Initiative hin?
Private veranstalten in Kuba gewöhnlich keine solchen Anlässe, zumindest keine öffentlichen. Es gibt Kubaner, vor allem der älteren Generation, die an einem Jahres- oder Gedenktag allenfalls ein Foto eines bekannten, toten Revolutionärs an die Haustür hängen, oder ein selbstgemaltes, kleines Plakat mit einer Ehrbezeugung, einem Zitat oder einer Widmung. Was man auch hie und da antrifft bei Menschen zuhause, ist ein kleiner Altar in einer Ecke zu Ehren von Che oder Fidel Castro, der ja inzwischen auch zur kubanischen Ahnengalerie gehört. Am Todestag zündet man dann eine Kerze an und stellt Blumen hin.
Viele Kubaner sehen Che bis heute als Mann, der die Welt zum Guten verändern wollte.
Welches Ansehen geniesst Che Guevara bei der kubanischen Bevölkerung?
Che geniesst bei vielen Kubanern nach wie vor ein ziemlich hohes Ansehen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Fidel Castro und sein ganzer Propaganda- und Medienapparat Che nach dessen Tod sofort zu einem heldenhaften Märtyrer erklärt und zu einem quasi Muster-Revolutionär ohne Fehl und Tadel hochstilisiert haben.
Viele Kubaner sehen Che bis heute als den Mann, der die Welt zum Guten verändern wollte, aber nicht an Macht interessiert war. Als den Mann, der an den «Neuen Menschen» glaubte und daran, dass eine bessere und gerechtere Welt möglich ist. Als den Mann, der immer mit gutem Beispiel voranging. Einen selbstlosen Kämpfer für die Armen, Entrechteten und Unterdrückten sowie für die internationale Solidarität.
Also keine Rede von den Schattenseiten des Comandante?
Die dunklen Seiten von Ches Biografie sind in Kuba ein Tabu: seine ideologische Härte, seine kaltblütige Grausamkeit, seine Rolle als Chef des grössten Erschiessungskommandos in Havanna, das nach der Revolution am meisten Menschen hingerichtet hat, seine Differenzen mit Fidel Castro, und all die Hintergründe, weshalb und wie Che Kuba den Rücken gekehrt hat, wie er in Afrika und Bolivien gescheitert ist und von Fidel im Stich gelassen wurde. Das alles darf in Kuba nicht thematisiert werden. Deshalb ist Che für sehr viele Kubaner bis heute das Musterbeispiel eines Revolutionärs, die leuchtende Figur hehrer Ideale, für die die kubanische Revolution einst stand.
Hat sich auch seit Fidel Castros Tod diesbezüglich etwas verändert?
Nein. Raúl Castro hat in den letzten Jahren den Menschen zwar einige kleine, wirtschaftliche Freiheiten gewährt, aber von politischer Öffnung kann keine Rede sein. Er führt einen mindestens so harten und repressiven Kurs wie früher sein Bruder. Raúl will nichts wissen von einer Demokratie mit mehreren Parteien, echter Wahl-, Meinungs- und Pressefreiheit.
Kein Staatsmedium würde je eine kritische Meinung über Che oder Fidel veröffentlichen.
Es gibt also keine kritischen Worte im Umgang mit Nationalhelden?
Nein, zumindest von offizieller Seite nicht. Solange in Kuba keine Meinungsfreiheit herrscht, ist es auch beinahe unmöglich, dass sich die Erinnerungskultur ändert. Öffentlich Nationalhelden zu kritisieren und ihre dunklen Seiten zu thematisieren – das geht in Kuba gar nicht. Kein Staatsmedium würde je eine kritische Meinung über Che, Fidel oder sonst einen Revolutionshelden veröffentlichen. Von den zahlreichen kritischen Biografien, die über Fidel und Che zuhauf existieren, gibt es in Kuba keine einzige zu kaufen.
Wie sieht es im privaten Kreis aus?
Im trauten Kreise unter Freunden und in den eigenen vier Wänden sagen die kritischen Stimmen sehr wohl, was sie über Che und Fidel denken. Und da findet und hört man alle möglichen Meinungen und Ansichten: radikale, unerbittliche, unversöhnliche, aber auch sehr differenzierte.
Che ist nicht mehr Kubas Toter Nummer eins.
Die grosse Frage: Wer ist beliebter? Che oder Fidel?
Che geniesst in Kuba grösseres Ansehen als Fidel. Er ist jung und tragisch gestorben. Er eignet sich also weitaus besser als Ikone als Fidel, der sehr alt wurde und Jahrzehnte mehr Zeit hatte, um Fehler und sich unbeliebt zu machen. Che bleibt ewig als junger, gut aussehender und verwegener Revolutionär in Erinnerung. Fidel schrumpfte in seinen letzten Lebensjahren auf normale menschliche Grösse zusammen.
Lobende Worte über Che hört man in Kuba übrigens auch von Menschen, die ihn persönlich gekannt haben und ihn heute für seine Sünden und Verbrechen kritisieren. Sie sagen, im Gegensatz zum wendigen und opportunistischen Fidel sei Che gradlinig und konsequent gewesen, ein Mann mit Prinzipien und Idealen.
Gibt es angesichts Che Guevaras Beliebtheit nun nach Fidels Tod Bemühungen, das Andenken an Che klein zu halten und stattdessen Fidel umso mehr hochzustilisieren?
Che ist und bleibt für das offizielle Kuba der Castros eine Ikone und ein Denkmal, an dem nicht gerüttelt werden darf. Auch nach Fidels Tod nicht. Aber: Che ist nicht mehr Kubas Toter Nummer eins. Der neue helle Stern, der jetzt aus dem Jenseits glüht und alle anderen überstrahlt, ist Fidel Castro. Er ist seit seinem Tod in Kuba präsenter als zu Lebzeiten. Jeden Tag ist Fidel in allen kubanischen Medien: in Bildern, in Zitaten, in Geschichten, Episoden, Erinnerungen. Es ist wie ein Vater unser, das endlos wiederholt wird. Che Guevara hat 50 Jahre nach seinem Tod den Logenplatz in Kubas Ahnengalerie verloren.
Das Interview führte Philipp Schneider.
Vom Guerillero zur Pop-Ikone
Er kämpfte als Guerillero für den Sozialismus, prangte auf den Bannern der 68er-Bewegung und landete schliesslich auf dem Bikini von Top-Modell Giselle Bündchen. Der Revolutionär Che Guevara hat eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Doch warum eignet gerade er sich so gut als Symbol für den Rebellen?
Der Medienwissenschaftler Ulrich Hägele sieht darin mehrere Gründe. Ein wichtiger Faktor sei, dass Che im Weltbild der 68er-Bewegung für eine gute Sache gestorben sei und noch dazu von den Schergen eines Diktators umgebracht wurde. «Deshalb eignet er sich so gut wie keine andere Figur des 20. Jahrhunderts als Märtyrer», erklärt Hägele.
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«Der frühe Tod des Rock'n'Roll»
Wie so manche Ikone ist auch Che Guevara relativ jung gestorben. Für den Medienwissenschaftler ein entscheidender Fakt für die Verehrung des Comandante. «Das ist der frühe Tod des Rock'n'Roll - live fast, die young.» Der frühe Tod im Kampf habe die ganze Geschichte stark aufgeladen.
Ches Bedeutung für die junge Generation sei aber nicht mit derjenigen für die 68er-Generation zu vergleichen. Junge Leute wüssten kaum noch, wofür Che Guevara überhaupt stehe, obwohl sie das Symbol kennen.
Für den Medienwissenschaftler gibt es schliesslich noch einen ganz profanen Grund für die Popularität Che Guevaras: «Er ist ein schöner Mensch gewesen.»