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Corona-Verschwörungstheorien Wir müssen lernen, mit Fake News zu leben

Nun spielt auch Twitter das, was die Amerikaner «Whack-A-Mole» nennen: Wie der Kopf eines Maulwurfs, der aus einem Loch lugt, tauchen Lügen oder Verschwörungstheorien zum Coronavirus auf Twitter auf – und wie auf dem Jahrmarkt versucht das Unternehmen, draufzuhauen, respektive den Tweet als eine Falschmeldung zu kennzeichnen.

Die allermeisten Social-Media-Plattformen, auch die von Google und Facebook, tun das mittlerweile – mit bescheidenem Erfolg. Die Corona-Falschmeldungen scheinen sich fast noch schneller zu verbreiten als das Virus selbst.

Besonders in Europa löst das in der Politik meist diesen Reflex aus: «Die haben uns das eingebrockt, die sollen das auch lösen.» Das ist legitim, auch wenn das Druckmittel der hohen Busse die Giganten mit ihren Milliardengewinnen nur halb das Fürchten lehrt.

Der Geist ist aus der Flasche

Dennoch dürfen wir nicht der Vorstellung verfallen, ein Internet schaffen zu können, auf dem ausschliesslich die Wahrheit gesagt wird. Wir haben fast alle Menschen befähigt, sich unvermittelt zu äussern. Sie nutzen diese neue Freiheit mit Gusto, pflegen Beziehungen, finden neue, haben Zugang zu Informationen in einem nie zuvor gekannten Ausmass – und einige verbreiten unwissentlich oder böswillig Lügen.

Dieser Geist lässt sich nie mehr in die Flasche zurückstopfen. Sogar China, das es mit aller Gewalt und immensem Aufwand versucht, schafft es nicht. Die Idee, dass man nur genügend Faktenprüfer anstellen muss, ist absurd: Es werden täglich Abermilliarden Inhalte gepostet, auf unzähligen Plattformen (nicht nur den grossen). Und die komplexe Frage, ob etwas wahr oder falsch ist, sollte nicht von Billigarbeitern in Sekunden entschieden werden.

Dass die grossen Social-Media-Plattformen diesbezüglich dennoch eine Verantwortung haben, erkennen sie mittlerweile selber an, wenn auch zähneknirschend und etwas widerwillig. Doch es wäre staatspolitisch bedenklich, ihnen die Entscheidungsgewalt über die Wahrheit zu delegieren.

Stattdessen müssen sie das tun, was sie bereits jetzt tun und am besten können: die digitale Müllabfuhr spielen. Also beispielsweise verhindern, dass Roboter-Identitäten vollautomatisch posten, sharen und liken und so falsche Popularität vorgaukeln. Oder sie müssen mit technischen Massnahmen Verbreitungsgeschwindigkeit und Reichweite einschränken.

Falsche Anreize vermeiden

Ausserdem muss ein Umdenken stattfinden bezüglich der Anreize, welche die Plattformen setzen. Solange Likes, Shares und Engagement die wichtigste Währung bleiben, werden sich übertriebene, überemotionale oder schlicht erlogene Inhalte auch weiterhin leicht verbreiten.

Zumindest vereinzelte Äusserungen diesbezüglich aus dem Silicon Valley lassen hoffen, dass sich die Zauberlehrlinge zumindest Gedanken machen, wie sie ihre Besen wieder in den Griff kriegen könnten.

Doch trotz all dem wird es im Internet auch in Zukunft jede Menge Falsches zu lesen geben. Statt naiv zu hoffen, diese Viren ein für alle Mal ausrotten zu können, müssen wir uns überlegen, wie wir unsere freien Demokratien impfen, um nicht gleich bei jeder Verschwörungstheorie umzufallen.

Guido Berger

Leiter Digitalredaktion

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Guido Berger leitet SRF Digital und erklärt seit 2006 Technologie und Games.

SRF1, Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 11.05.2020, 06:30 Uhr

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