Seit Beginn des Lockdowns sind Alkohol und Zigaretten für die Südafrikaner offiziell tabu. Der Alkoholkonsum ist in Südafrika seit der Apartheid ein Politikum, denn unter der weissen Regierung war es für Nichteuropäer verboten, Alkohol zu trinken.
Dies führte in den Townships zur Entstehung von sogenannten Shebeens, Spelunken, wo illegal getrunken wurde. Trinken galt damals als eine Form der Rebellion – heute trinken die Menschen in den Townships und illegalen Siedlungen, um die Armut zu vergessen. Längst hat sich der Alkoholkonsum in vielen Fällen zu einer Sucht entwickelt.
Weniger Gewalt, weniger Opfer
Es wird jedoch allgemein viel getrunken. Der Donnerstag ist bekannt als Trinktag, mit dem das Wochenende eingeläutet wird. Dann leeren auch die Begüterten, egal welcher Hautfarbe, beim Grillieren eine ganze Harasse Bier.
Dass der Verkauf von Alkohol seit Ende März verboten ist, begrüsst ein Grossteil der Bevölkerung. Das Verbot führte zu einer deutlichen Senkung der Gewalt in den Townships und zu einer massiven Reduktion der Verkehrsunfälle. Dadurch landen weniger Verkehrsopfer in den Spitälern und die Betten bleiben frei für Coronakranke.
Doch längst nicht alle halten sich an das Verbot: Kaum hatte Präsident Cyril Ramaphosa das Verbot deklariert, zirkulierten in den sozialen Medien die Rezepte, wie man selbst Alkohol herstellen kann.
Umqombothi ist das traditionelle afrikanische Bier, das aus Mais, Sorghum (Hirse), Hefe und Wasser hergestellt wird. In den Dörfern brauen es die Frauen anlässlich von Hochzeiten und Begräbnissen. Die Zutaten für Umqombothi verschwanden nach dem 27. März in Windeseile aus den Läden. Dann galt es, erfinderisch zu sein, wie eine Frau (Bild) aus Kwazulu-Natal, die in einem Township in der Nähe von Johannesburg lebt.
Vergleich mit der Apartheid
Das Bierbrauen ist seit Jahrzehnten ihre Spezialität. In Zeiten der Covid-19-Prohibition braut sie illegales Bier aus fermentierten Ananas und verkauft den Liter zu stolzen fünf Franken in der Nachbarschaft.
Sie hat es bis heute geschafft, nicht von der Polizei entdeckt zu werden und macht ihr Geschäfte im Stillen und mit der Vorsicht, die sie bereits während der Apartheid perfektionierte. Denn an die Apartheid, so sagt sie, erinnere sie die Prohibition von heute.
Verboten sind seit Ende März auch Zigaretten, denn sie könnten die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus erhöhen. Dieses Verbot ist um einiges kontroverser als jenes von Alkohol. Es gibt nicht weniger Raucher, nur weil das Rauchen der Gesundheit schadet.
Für die rund elf Millionen Raucher und Raucherinnen entstand im Nu ein lukrativer Schwarzmarkt. Heute rauchen die Weissen die Marke «Sharp», die vor dem Lockdown nur in den Townships erhältlich war und zu den billigsten Zigaretten gehörte.
Preise für Zigaretten schiessen in die Höhe
Yusuf Abramje, Direktor der NGO «Steuergerechtigkeit für Südafrika» und eine landesweit bekannte Persönlichkeit, hält das Verbot für verheerend, weil es Schmugglern und Gangstersyndikaten in die Hände spielt.
Der Preis einer Stange «Sharp»-Zigaretten hat sich mittlerweile verdreifacht – ein gewinnträchtiges Geschäft für Schmuggler. Laut Abramje und dem Finanzminister verliert Südafrika aufgrund des Verbots täglich rund anderthalb Millionen Franken an Steuereinnahmen. Ein veritabler Verlust, den sich das bankrotte Land eigentlich nicht leisten kann.
Die Polizei, unterstützt von 70’000 Soldaten – der grössten Mobilisierung seit dem Ende der Apartheid – ist vor allem damit beschäftigt, jene zu verfolgen, die die Prohibition zu umgehen versuchen.
Schon ein Paket Zigaretten der Marke «Sharp» im Auto kann zu einer Busse führen. Polizei wie auch die Armee gehen dabei oft unzimperlich vor. Gärten werden wegen einiger vermuteten Flaschen Bier umgepflügt, Leute schikaniert und zum Teil geschlagen.
Angst vor einem Polizeistaat
Die UNO hat Südafrika bereits wegen etlicher Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Tausende von Personen sind verhaftet worden, nicht nur professionelle Schmuggler, sondern unbescholtene Bürger und Bürgerinnen, die wegen der Lockdown-Verbote plötzlich zu Kriminellen geworden sind.
Yusuf Abramje, dem aus dem ganzen Land Videos mit Übergriffen von Polizisten oder Soldaten zugeschickt werden, erinnert die heutige Situation an die Apartheid: «Wir kennen solche Übergriffe aus der Apartheid-Zeit. Was wir heute beobachten, macht uns grosse Sorgen. Viele befürchten, dass wir uns in einen Polizeistaat verwandeln.»
Zudem, betont nicht nur er, seien Polizei und Armee vom nationalen Covid-19-Kommando unter Präsident Ramaphosa zur Unterstützung des Gesundheitspersonals abkommandiert worden: zur Wasserbeschaffung in den Slums oder zur Erstellung von Feldlazaretten – doch scheine es, als ob das sekundär geworden sei ob all der Verbote, deren Einhaltung nun sichergestellt werden müsse.
Die eigentlichen Probleme, die der Lockdown verschärft hat, nämlich die zunehmende Verarmung von Millionen von Menschen, gehen bei der alles dominierenden Diskussion über die Prohibition verloren.
Wie der vom Präsidenten angekündigte Unterstützungsfonds von rund 24 Milliarden Franken genau finanziert werden soll, ist bis heute unklar. Doch die mahnenden Worte des Finanzministers, dass man nun jeden Rappen brauche, scheinen beim Präsidenten auf taube Ohren zu stossen.
Covid-19-Welle noch nicht am Höhepunkt
Dass immer mehr Menschen hungern, ist ein offenes Geheimnis. Und dass die Erhöhung der Sozialhilfegelder von monatlich 20 auf 40 Franken nur bedingt helfen, ist auch vielen klar.
Zudem befindet sich Südafrika erst am Anfang der stetig steigenden Covid-19-Infektionskurve. Das Schlimmste, sowohl bezüglich des Virus als auch der Wirtschaft, steht den bereits gebeutelten Menschen noch bevor.