SRF News: «Das Land kommt zusammen, Westminster tut dies nicht», sagte May als Erklärung für die Neuwahlen. Kommt das Land in der Brexit-Frage wirklich zusammen?
Urs Gredig: Natürlich nicht. Der Brexit hat einen Graben in die Gesellschaft gerissen, der auch mit Neuwahlen nicht einfach zugeschüttet werden kann. Wenn überhaupt, geht May eher das – kleine – Risiko ein, dass nun alle Brexit-Gegner geschlossen das Lager wechseln, weil sie sich einen anderen EU-Austritt als jenen von May wünschen. Aber der Premierministerin dürfte es bei ihrer Ankündigung von gestern wohl eher darum gehen, die geschwächte Labour-Opposition noch mehr zu schwächen und ein direktes Mandat für ihre Politik zu gewinnen.
Wie ist die Ankündigung zu den Neuwahlen generell in London aufgenommen worden?
Mit grosser Überraschung und von einigen sicher auch mit einer gewissen Verdrossenheit. Die Briten werden nun zum dritten Mal in drei Jahren an die Urne gerufen, da kommt beim einen oder anderen auch so etwas wie Politmüdigkeit auf.
Der Premierministerin dürfte es darum gehen, die Labour-Opposition noch mehr zu schwächen
Kam die Erklärung für die Leute tatsächlich so überraschend?
Spekuliert wurde über Neuwahlen in den letzten Wochen zwar regelmässig, aber May hatte dies ja persönlich mehrmals konsequent dementiert. Was ihr natürlich auch nicht gerade das beste Zeugnis ausstellt.
Wie ist es um Theresa Mays Ansehen im Volk bestellt?
Sie gilt gemeinhin als sehr seriös und kompetent. Persönlich wird man nicht richtig warm mit ihr, sicher auch, weil sie sich relativ konsequent zurück hält, was Einblicke in ihr Privatleben betrifft. May ist keine «Show-Woman», welche die Öffentlichkeit braucht und die Schlagzeilen sucht und dadurch ist sie für viele Briten derzeit auch genau die Richtige für die Brexit-Verhandlungen. Eine stille «Schafferin» ist momentan vielen lieber als ein Selbstdarsteller wie zum Beispiel Boris Johnson.
Die Konservativen haben die Nase vorn
Theresa Mays Konservative Partei liegt gemäss Forschungsinstituten weit vor der oppositionellen Labour-Partei. Laut einer Umfrage des Instituts YouGoy vom 12. und 13. April würden die Konservativen 44 Prozent der Stimmen erhalten. Die Labour Partei von Jeremy Corbyn erhielte 23 Prozent. Ausserdem würde die Hälfte der Wähler May als Regierungschefin vorziehen. Labour-Chef Corbyn würde von 14 Prozent unterstützt. Die Umfragewerte decken sich mit denjenigen anderer Institute: Gemäss der Umfrage von ComRes zwischen dem 11. und 13. April erhielten die Konservativen 46 Prozent der Wählerstimmen, Labour 25 Prozent. Dahinter lagen die Liberaldemokraten mit 11 und Ukip mit 9 Prozent. Bereits Anfang April sagte eine ICM-Erhebung voraus, dass die Konservativen auf 43 Prozent der Stimmen kommen würden und Labour auf 25 Prozent. |
Das britische Pfund legt an Wert zu
Das britische Pfund ist nach der Ankündigung von baldigen Neuwahlen gegenüber dem US-Dollar um rund 1,5 Prozent auf den höchsten Stand seit vergangenem Oktober gestiegen. «Die Devisenhändler versprechen sich wohl mehr Stabilität, wenn die Tories ihre Mehrheit im Unterhaus ausbauen können», sagt dazu SRF-Wirtschaftsredaktor Iwan Lieberherr. Trotzdem ist das Pfund aber immer noch 15 Prozent billiger als vor dem Brexit-Entscheid im letzten Juni. Das hat negative Folgen für die Briten: Die Importe werden teurer, die Preise steigen. Das bremst die Ausgaben und damit die Wirtschaft. Deshalb sei die leicht stärkere britische Währung durchaus positiv für die britische Wirtschaft, so Lieberherr. |