Die 28 EU-Mitgliedsländer tun sich seit geraumer Zeit schwer, gemeinsame Lösungen zur Flüchtlings- und Migrationsproblematik, Terrorgefahr sowie stagnierenden Wirtschaft zu finden. Dazu kommt das Brexit-Votum der Briten im vergangenen Juni. Entsprechend kritische Worte äusserte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner diesjährigen Rede zur Lage der EU vor dem Europäischen Parlament im Strassburg.
Nicht nur sprach er von einer «existenziellen Krise der EU», er stellte auch den dringlichen Handlungsbedarf in den Vordergrund: «Die nächsten zwölf Monate sind entscheidend, wenn wir unsere Union wieder zusammenführen wollen.»
«Hin zu einem besseren Europa – einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt», so lautete die Kernbotschaft Junckers.
«Unsere Kinder haben etwas Besseres verdient»
Zum Schluss legte Juncker den Fokus auf den Nachwuchs Europas. «Unsere Kinder haben ein besseres Europa verdient», so der EU-Kommissionspräsident. Diese seien auf ein Europa angewiesen, das ihre Art zu leben schütze und erhalte. Und ein Europa, das sie stärker mache und verteidige.
«Es ist an der Zeit, dass wir alle – die EU-Institutionen, die Regierungen, die Bürgerinnen und Bürger – die Verantwortung dafür übernehmen, dieses Europa aufzubauen. Gemeinsam.»
Einschätzungen von SRF-Wirtschaftsredaktor Massimo Agostinis
Junckers Rede war stark, ohne laut zu sein. In seiner bescheidenen Art kritisierte Juncker die Mitgliedsländer für ihre inkohärente Politik, die darin besteht, dass sie heute einen Entscheid in Brüssel abnicken, den gleichen aber am nächsten Tag in ihrer Heimat kritisieren. So zerstöre man Europa, womit er zweifellos Recht hat. Gleichzeitig drängte er die Mitgliedsländer zu mehr Europa: Es könne nicht sein, dass bei den Syrien-Friedensverhandlungen die EU nicht am Tisch mitsitze. Europa müsse in der Welt eine grössere Rolle spielen, Stichwort gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik. Das dürfte freilich Wunschdenken bleiben, auch wenn das Gebaren Russlands gleich vor den Toren der Union die Mitgliedsländer zu vermehrter Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen bringen wird. Der EU-Kommissionspräsident vergass auch nicht zu analysieren, weshalb die Union so viel an Attraktivität eingebüsst hat: Sie müsse wieder mehr Sicherheit bieten. Es sei gut, würde die EU Freihandelsverträge abschliessen. Aber sie müsse auch dafür sorgen, dass die heimische Industrie – zum Beispiel die Stahlindustrie – nicht ausgelöscht werde und dass Arbeitnehmer sich bei allem Wandel in der Arbeitswelt sicher fühlen könnten. Eine EU-weite Arbeitslosenversicherung propagierte er aber nicht, obwohl darüber diskutiert wird. |