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Deniz Yücel ist frei Gab es einen Deal mit Berlin?

Die deutsche Politik stellt die Freilassung des Journalisten Yücel als Erfolg der Diplomatie hin. Geholfen hat sicher, dass die Türkei auf gute Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland angewiesen ist.

Auf den ersten Blick geht es der türkischen Wirtschaft gar nicht schlecht. Im Gegenteil: Sie weist zweistellige Wachstumszahlen auf. Doch der Ökonom Erdal Yalcin vom Münchner Ifo-Institut nennt diese Zahlen mehr Schein als Sein: «Im gleichen Atemzug muss man sagen, dass dieses Wachstum durch staatliche Interventionen künstlich generiert wird.»

Die Türkei hat in den letzten zwölf Monaten ihr Tafelsilber genutzt, um die statistischen Rahmenbedingungen positiv darzustellen.
Autor: Erdal Yalcin ifo Institut für Wirtschaftsforschung

Der Staat habe massiv öffentliche Investitionen in Grossbauprojekte getätigt, Finanzmittel für kleine und mittelständische Unternehmen zur Verfügung gestellt oder Steuern für Konsumgüter gesenkt. «Fakt ist: Eine solche Politik ist nicht nachhaltig.» In einem Satz: «Die Türkei hat in den letzten zwölf Monaten ihr Tafelsilber genutzt, um die statistischen Rahmenbedingungen positiv darzustellen.»

Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Türkei, allen voran Deutschland. Zehn Prozent der Exporte und Importe kommen aus und gehen nach Deutschland. «Die Türkei braucht eindeutig eine Hand aus Europa – insbesondere Deutschland – um das schwierige Fahrwasser zu bewältigen», sagt Yalcin. Denn das Land erlebe immer noch wirtschaftliche Verwerfungen.

Auch Europa profitiert von einer stabilen Türkei

Diese Erkenntis sei nach der tiefen Enttäuschung über ein passives Europa nach dem gescheiterten Putsch 2016 in Ankara in den Vordergrund gerückt. Aber umgekehrt könne es auch nicht im Interesse Deutschlands und Europas sein, die Türkei wirtschaftlich zu destabilisieren.

Yalcin plädiert dafür, Wirtschaft und Politik zu entflechten, sprich: die Zollunion zwischen der EU und der Türkei nicht zu vertiefen. Denn die Zollunion wurde in der Annahme konzipiert, dass die Türkei auf absehbare Zeit in die EU eintreten werde. Ohne EU-Beitritt hat die Türkei aber massive Nachteile zu erdulden.

Wenn die EU beispielsweise ein Freihandelsabkommen mit einem Drittstaat abschliesse, müsse die Türkei Importzölle gegenüber dem Drittstaat aufheben, ohne dass dieser die Zölle gegenüber der Türkei abschaffe, weil die Türkei nicht zur EU gehöre.

Man kennt das aus der Zeit des Kalten Krieges. Wenn es wirklich schwierig ist, wenn es um Individuen geht, dann gibt es vielleicht solche Deals.
Autor: Erdal Yalcin ifo Institut für Wirtschaftsforschung

Die Türkei pocht auf den EU-Beitritt

Yalcin plädiert für eine eine Rückführung der Zollunion in ein Freihandelsabkommen: «Die Schweiz ist ein gutes Beispiel: Es geht darum, wie wir die Türkei wirtschaftlich stabilisieren können und gleichzeitig keine politischen Verwerfungen generieren. Stichwort ist: Bilaterale Verträge aushandeln, die nicht zwingend mit anderen Bereichen in Konflikt stehen.»

Ein Freihandelsabkommen würde es der Türkei erlauben, glaubt Yalcin, zum Beispiel den Aussenzoll mit anderen Ländern unabhängig von Europa zu setzen: «Die Visa-Thematik oder die Quoten für Lkw müssten dann nicht im Rahmen eines Handelsabkommens diskutiert werden.»

Das Problem sei nur: Die Türkei wolle von einem EU-Beitritt nicht abrücken und lehne eine Rückführung der Zollunion auf ein Freihandelsabkommen kategorisch ab.

Spielt die Wirtschaftsachse Berlin-Ankara bald wieder?

Gab es einen Deal für die Freilassung von Deniz Yücel oder nicht? Was sagt der Ökonom? Wird der Rüstungskonzern Rheinmetall bald eine Fabrik in der Türkei bauen, wie deutsche Medien berichtet haben? Oder werden bald die deutschen Leopard-Panzer der türkischen Armee nachgerüstet? «Ich persönlich weiss davon nichts», sagt Yalcin. «Was solche ressortübergreifenden politischen Schritte angeht, sind wir aber sehr skeptisch.»

Allerdings kenne man das auch aus der Zeit des Kalten Krieges: «Wenn es wirklich schwierig ist, wenn es um Individuen geht, dann gibt es vielleicht solche Deals.» Aus ökonomischer Sicht sei aber entscheidend: «Die Türkei braucht eine Lösung, um ihre Wirtschaft mit Europas Hilfe wieder zu stabilisieren.»

Deutschland und der «Olivenzweig» in Syrien

Die Aufgabe rechtsstaatlicher Normen in der Türkei vor allem nach dem Putschversuch 2016 habe der Türkei geschadet. Vielleicht sei der Türkei auch das bewusst geworden. «Die Türkei ist massiv unter Druck. Insofern kann ich mir auch vorstellen, dass sie nun aus Eigeninteresse nachgibt», sagt Yalcin.

Wie auch immer: Mit der Freilassung von Yücel ist die Türe wieder offen für Deals verschiedenster Art. Aussenminister Gabriel hat bereits im Januar betont, es gebe grundsätzlich keine Bedenken einen Nato-Partner, der im Kampf gegen den IS sei, militärisch zu unterstützen. Das war allerdings vor der türkischen Offensive mit dem schönen Namen «Olivenzweig» in Syrien.

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