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International «Der Iraner fühlt sich vom Westen fast permanent missverstanden»

Das globale Interesse an den Wahlen im Iran ist gerechtfertigt, denn nicht nur für das Land, sondern auch für seine Nachbarn und den Westen werden politische Weichen gestellt. SRF-Korrespondent Pascal Weber zu den Wahlen, die aus westlicher Sicht, wie manches im Iran, «verzerrt» erscheinen können.

SRF News: Der Iran wählt das Parlament und den Expertenrat. Das Medieninteresse daran ist riesig. Was ist besonders an diesem Wahlgang?

Pascal Weber

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Seit 1999 arbeitet Weber für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Seit September 2010 ist er Korrespondent im Nahen Osten. Folgen Sie ihm auf Twitter.

Pascal Weber: Es sind die Wahlen nach dem Atomabkommen und nach der Aufhebung der internationalen Sanktionen. Damit ist der Wahlgang ein Referendum über Präsident Rohanis vorsichtige Annäherungspolitik an den Westen und einen ganz leisen Reformkurs im Innern. Würden die Reformisten um Rohani Aufwind bekommen, bedeutete das, dass er die sanften Reformschritte gestärkt und vertieft weiterführen könnte.

Zudem wird mit dem Expertenrat das Gremium gewählt, das im Todesfall des betagten Revolutionsführers Ajatollah Ali Chamenei dessen Nachfolger bestimmt. Die Nachfolge des höchsten Klerikers entscheidet mittel- oder langfristig, in welche Richtung sich der Iran bewegt.

Wagen Sie eine Prognose, was die Wahlbeteiligung und den Ausgang der Wahlen betrifft?

Grundsätzlich ist eine hohe Beteiligung zu erwarten. Man spürt bei Konservativen wie bei Reformern, dass sich die Iraner sehr bewusst sind, dass die Wahlen entscheidend sein können. Jüngste Umfragen vor allem in Teheran zeigen, dass die Reformisten Aufwind haben. Viele Iraner hegen Hoffnungen nach der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen. Das hilft dem Lager von Rohani enorm.

Sollten die Reformisten mehr Sitze erringen, würde damit eine politische Öffnung des Landes lanciert?

Wenn wir von Reformen sprechen, ist damit sicher nicht gemeint, dass der Iran plötzlich zu einer offenen demokratischen Marktwirtschaft wird. Von einer Revolution, wie sie sich etwa im arabischen Frühling zeigt, kann keine Rede sein. Es geht um eine sanfte Öffnung.

Der Klerus betont immer wieder, dass Rohani das Land für dreckiges Geld an den Westen verkaufe.

Werden die Wahlen demokratisch verlaufen?

Ich habe nicht den Eindruck, dass es unfreie und unfaire Wahlen werden. Natürlich haben sich die ultrakonservativen Kleriker schon im Vorfeld in den demokratischen Prozess eingemischt, indem sie darüber befunden haben, wer wählbar ist und wer nicht. Handkehrum kann man aber nicht behaupten, dass vor den Wahlen zwingend politische Spielchen stattgefunden haben.

Das müssen Sie bitte genauer erklären.

Man muss wissen, dass es für eine Kandidatur klare Regeln gibt, die viele reformistische und konservative Bewerber einfach nicht erfüllt haben. Der Wächterrat hat so zahlreiche Personen von der Wahl ausschliessen können und müssen. Für einen Sitz im Parlament muss man zum Beispiel einen Masterabschluss haben. Und wer im Expertenrat einsitzen will, muss an einem bestimmten Tag eine schwierige religiöse Prüfung ablegen.

Diese Prüfung ist offenbar dem Enkel von Ajatollah Chomeini – dem Hoffnungsträger der Reformisten – zum Verhängnis geworden...

Chomeinis Enkel, dessen Disqualifizierung von der Wahl für grossen Wirbel gesorgt hat, ist nicht zur religiösen Prüfung angetreten und darum von der Wahl ausgeschlossen worden. Über die Gründe gibt es viele Gerüchte. Manche sagen, er hätte aus freien Stücken agiert. Andere munkeln, der Termin sei ihm absichtlich nicht bekannt gegeben worden. Wie vieles im Iran ist die Antwort vielleicht nicht schwarz oder weiss.

Wie gross ist die Angst des Klerus, dass er an Macht einbüsst?

Zum einen gibt er sich überzeugt, dass er das Richtige tut und kein Weg an ihm vorbeiführen wird. Zum anderen spürt man aber Verunsicherung in seinen Reihen. Das zeigt sich etwa daran, dass sich die Konservativen nach Kräften bemühen, Rohanis Politik zu diffamieren. Sie betonen immer wieder, dass dessen Politik einer ausländischen Infiltration Tür und Tor öffne; und dass er das Land für dreckiges Geld an den Westen verkaufe.

Man denkt: Hoppla, der ist ja liberaler als manch Konservativer in Europa.

Welches Szenario ist denkbar, sollten die Reformisten an Boden gewinnen?

Wenn die Reformkräfte Aufwind erfahren, wird man Veränderungen in der iranischen Politik bemerken können: etwa verstärkte Bekämpfung der Korruption, gewisse Wirtschaftsreformen im Innern. Doch soviel ist gewiss: Wenn aus ihren Hoffnungen Taten werden sollen, dann braucht es noch viele umfassende Reformen im Land: Erleichterungen der internationalen Handelsbeziehungen, Veränderungen in der Wirtschaftsgesetzgebung und so fort. Die Hürden und Risiken für ausländischen Unternehmen sind nach wie vor sehr hoch.

Um noch einmal auf das Medieninteresse zurückzukommen, das dem Iran auch aus dem Westen zuteil wird: Fühlt sich der Iraner eigentlich richtig dargestellt?

Im Gegenteil. Er fühlt sich vom Westen fast permanent missverstanden. Das erlebe ich selbst. Mit unserer westlichen Sicht- und Denkweise laufen wir permanent in Zerrbilder des Iraners hinein. Bis ein Europäer den Iran und sein Volk wirklich versteht, muss er mindestens zehn Jahre im Land leben.

Können Sie uns ein Beispiel geben für dieses Missverstehen?

Wenn wir zum Beispiel einen Ayatollah – einen islamischen Rechtsgelehrten – sehen, dann gehen wir automatisch davon aus, einen ultra-konservativen Mann vor uns zu sehen. Dann spricht dieser Ayatollah von Geschlechtsumwandlungen und dass er das gut findet! Also denkt man: Hoppla, der ist ja liberaler als manch Konservativer in Europa. Doch dann redet er über Homosexualität und dass das verboten sei und schlecht. Und dann merkt man, dass unsere Kategorien zum Beispiel von liberal und konservativ schlicht nicht die gleichen sind. Solche Beispiele gäbe es viele weitere.

Das Gespräch führte Christine Spiess

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