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Deutschland hat gewählt Ein Sachse mit intakten Chancen auf die grosse Karriere

Sachsen ist der Leuchtturm unter den ostdeutschen Bundesländern. Dem Freistaat geht es wirtschaftlich gut, die Abwanderung scheint gestoppt. Regiert wird Sachsen vom CDU-Politiker Stanislaw Tillich. Einem Ostdeutschen, den manche schon als Nachfolger der Kanzlerin handeln.

Stanislaw Tillich ist Sorbe. Einer von wenigen zehntausend Menschen, die diese westslawische Spache noch beherrschen. Während der Nazi-Zeit verboten, wurden in der DDR die Sprachen, die Bräuche und Kultur der Sorben in Brandenburg und Sachsen wieder gefördert – und sie werden es auch heute.

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«Rendez-vous» und «Echo der Zeit» berichten in den kommenden Wochen für Sie aus Deutschland. Welche Themen bewegen die Menschen in unserem Nachbarland? Was beeinflusst ihren Wahlentscheid? Unsere Reporter sind für Sie unterwegs – in Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Und am Abend des 22. September natürlich in Berlin.

In der Lausitz, wo der 54-jährige Tillich aufgewachsen ist, sind die Strassennamen zweisprachig angeschrieben. Es gibt sorbische Schulen, Medien, Vereine – und doch ist das Ueberleben der kleinen sorbischen Minderheit keineswegs gesichert. «Es gibt immer ein Auf und Ab», sagt Tillich. «Es gibt immer auch junge Menschen, die finden, es lohne sich nicht, dass ihre Kinder die Sprache noch lernen. Und schon einige Jahre später gibt es wieder eine junge Generation, die das ganz anders sieht. Aber man muss konstatieren: Der Anteil derer, die sorbisch sprechen, geht kontinuierlich zurück.»

Bei Tillichs zu Hause wurden die sorbischen Wurzeln immer gepflegt. Sie passen auch bestens zur Politmarke Tillich. Er kann sich mit dieser ostdeutschen Besonderheit als Mustersachse präsentieren. Nicht zufällig steht auf seinen Wahlkplakaten und der Homepage schlicht: Tillich. Der Sachse. Er wolle damit den berühmten sächsichen Stolz ansprechen, sagt der Regierungschef dazu. «Gleichzeitig will ich signalisieren: Wir sind in der Normalität angekommen. Sachsen wird von einem Sachsen regiert.»

Das ist nicht selbstverständlich. Die beiden ersten sächsischen Ministerpräsidenten nach der Wende, Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt, kamen beide aus dem Westen. Das nagte am Selbstbewusstsein vieler Sachsen. Tillich nun ist ein Einheimischer. Einer, der in der DDR aufgewachsen ist.

«Tillich ist wirklich ein Phänomen»

Ein Regimegegner sei Tillich nie gewesen, sagt der Dresdner Politologie-Professor Werner Patzelt. Aber das sei für eine Karriere im Ostdeutschland nach der Wende auch nicht nötig. «Warum auch?», fragt Patzelt. «Jeder, der hier lebt, weiss, dass man sich sein Leben in einer Diktatur nicht aussuchen kann. Und wer sich sich nicht anpassen will, der wird entweder angepasst oder marginalisiert.» Im Westen gebe es die Vorstellung, dass nur jene sich für Ämter im neuen Staat als würdig erwiesen hätten, die im nachweisbaren Widerstand gegen die Diktatur gewesen seien. «Dieses ab und zu von westdeutscher Seite vorgetragene Gefühl stösst Ostdeutsche eher ab», sagt Patzelt.

Viel eher kritisiert Professor Patzelt, dass Stanislaw Tillich auch nach der Wende wenig Ecken und Kanten gezeigt habe.«Tillich ist wirklich ein Phänomen. Nicht einmal in der Union kann man sagen, wofür er inhaltlich wirklich steht. Ausser dafür, dass er gerne Ministerpräsident ist, dass er dafür gesorgt, dass die sächsische Staatsregierung keine vorweisbaren Fehler gemacht hat und dafür, dass in einem grossen politischen Kraftakt ein Verschuldungsverbot in die sächsische Verfassung aufgenommen wurde.» Ansonsten, so Patzelt, «ist dieser Mann irgendwie teflonartig.»

Ein ungnädiges Urteil des CDU-Mitglieds Patzelt über seinen Parteikollegen und wohl auch eine Spur ungerecht. Vor allem in der Wirtschaftspolitik hat Ministerpräsident Tillich durchaus feste Ueberzeugungen und die sind stark rechtsliberal geprägt, wie häufig bei Politikern aus früheren Ostblockländern.

Auch mal auf Gegenkurs zur eigenen Partei

Tillich selbst etwa lobt Staaten wie Polen, Tschechien und Estland, die Reformen durchgeführt hätten, vor denen Spanien, Griechenland oder Portugal nun stünden. «Wir haben eine ganz andere Affinität zu Marktwirtschaft», erklärt der Ministerpräsident. «Wir kennen das Ergebnis der Gleichmacherei, wo die Kräfte erlahmen, die Kreativität erlahmt und dann Stillstand eintritt.»

Für diese Ueberzeugung legt sich Stanislaw Tillich auch mal mit der eigenen Partei an. Er ist gegen Mindestlöhne, während die Bundes-CDU – wenn auch vielleicht nur aus wahltaktischen Gründen – inzwischen dafür ist.

Tillich vertritt einen rigiden Sparkurs auch in wirtschaftlich harten Zeiten. Er wendet sich dezidiert gegen die unter Merkel spürbare «Sozialdemokratisierung» der CDU. Und er ist stolz darauf. «Das ist ein grosses Kompliment», sagt Tillich. Er sehe sich nicht als Fels in der Brandung, gehöre aber sicher zu jenen, die immer wieder vor zu viel Staat warnten. «Das heisst, wir müssen uns nicht überall einmischen. Wir müssen Vertrauen haben, dass der Mensch das selber regelt.

Politik am rechten Rand der CDU

Tillich und generell die sächsische Union politisieren am rechten Rand der CDU. Familien-, Ausländer- oder auch Europapolitik dürfe man nicht einfach Protestparteien überlassen, etwa der neuen rechten «Alternative für Deutschland» (AfD). «Wir müssen höllisch aufpassen als Volksparteien, dass wir auch die Interessen der Bevölkerung widerspiegeln», sagt Tillich. Wenn die AfD damit politisiere, dass die Menschen ein Problem mit der Europapolitik hätten, «dann müssen wir uns auch um die AfD kümmern». Damit macht sich Stanislaw Tillich in der CDU nicht nur Freunde.

Rein wirtschaftlich betrachtet ist Sachsen aber ein Erfolgsmodell. 2005, bei Amtsantritt der Regierung Tillich, betrug die offizielle Arbeitslosenrate noch über 20 Prozent. Heute liegt sie unter neun. Sachsen hat die tiefste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer und, was für Ostdeutschland besonders wichtig ist, die Abwanderung scheint gestoppt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres vermeldete Sachsen erstmals seit der Wende wieder mehr Zuzüger als Auswanderer.

Stanislaw Tillich mit Angela Merkel und Innenminister Hans-Peter Friedrich
Legende: Stanislaw Tillich mit Angela Merkel: Dass es in Sachsen gut läuft, hat man auch in Berlin bemerkt. Reuters

All das hat man auch in Berlin bemerkt und Stanislaw Tillich in den Bundesvorstand der CDU geholt. Eine Vorstufe für ein politisches Amt auf Bundesebene? Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt winkt ab. «Er hat keine bundespolitischen Aspirationen und nach meiner Einschätzung würde er sich auch schwer tun, eine bundespolitische Rolle einzunehmen.» Zu sehr sei Tillich darauf bedacht, keine Fehler zu machen. Zu wenig Gestaltungswille sei spürbar.

«Ich möchte die Wahl in Sachsen gewinnen»

In Berlin mag man das anders sehen und Tillich selber hält sich bedeckt. Zuerst kommen nun nächstes Jahr ohnehin einmal die Landtagswahlen in Sachsen und da gilt es die seit nunmehr einem Vierteljahrhundert andauernde Vormachtstellung der sächsischen Union zu verlängern. «Ich möchte kandidieren», gibt Tillich freimütig zu. «Und ich möchte natürlich auch die Wahl gewinnen.» Was danach kommt, lässt Tillich, der Sachse, vorläufig offen.

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