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Dicke Luft in Deutschland «Fahrverbote hätten das Problem lösen können»

Die EU-Kommission verklagt mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, wegen zu schmutziger Luft. Das wurde gestern bekannt. Seit Jahren fordert die EU, dass Deutschland die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide einhält, und so die schlechte Luft in gewissen Städten verbessert. Journalist Michael Bauchmüller von der «Süddeutschen Zeitung» hat die Klage kommen sehen.

Michael Bauchmüller

Journalist

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Michael Bauchmüller ist seit 2005 Korrespondent im Berliner Parlamentsbüro der «Süddeutschen Zeitung». Davor war er für das Wirtschaftsressort des Blattes tätig. Seine Kernthemen sind Energie, Umwelt, Mobilität und Entwicklung.

SRF News: Warum hat Deutschland nicht früher reagiert?

Weil der Bundesregierung einfach der politische Mut fehlte. Sie hätte entweder der Autoindustrie auf die Füsse treten müssen, oder den Autofahrern mit Fahrverboten. Für beides fehlte der Koalition der Mut.

Die Regierung hat auf Wirtschaftsinteressen, vor allem der Autoindustrie, Rücksicht genommen, und sich zu wenig um die Luftqualität gekümmert. Ist der Reputationsschaden durch die Klage nun aber nicht viel grösser?

Ganz sicher ist er grösser. Aber kürzlich war die Bundestagswahl, und im Wahlkampf hat das die grossen Parteien nicht interessiert. Im Gegenteil: Sie haben versprochen, «es gibt mit uns kein Fahrverbot» – und nur diese Fahrverbote hätten das Problem lösen können. Nur damit hätte man tatsächlich wirksam auch die Stickstoffdioxid-Emissionen in den Städten senken können. Das kam bei den Wählern, insbesondere jenen der grossen Volksparteien, nicht so gut an. Deswegen hat man es gelassen. Man lebt mit diesem Reputationsschaden und hofft, dass das vergessen wird, irgendwann.

Wer wird in der Öffentlichkeit politisch dafür verantwortlich gemacht?

In erster Linie steht die Autoindustrie am Pranger, vor allem seit dem Skandal um Volkswagen. Die Politik wird von der Opposition immer wieder angegangen, nicht schnell genug und nicht ausreichend gehandelt zu haben. Aber auch in der Bevölkerung hat sich eine Stimmung gegen die Autoindustrie breitgemacht. Es ist eine grosse Enttäuschung, die hier durchschlägt.

Deutschland hat nun eine neue Regierung und steht unter dem Druck einer EU-Klage. Wird jetzt etwas passieren?

Mein Eindruck ist: Nein. Die Kanzlerin hat auf die Klage mit den Worten reagiert, man wolle den bisherigen Weg konsequent weitergehen. Der bisherige Weg war, dass man versucht, den Städten mit Förderprogrammen unter die Arme zu greifen, damit sie ihre Busflotten oder Müllfahrzeuge gegen neuere Dieselmotoren oder gegen Elektrofahrzeuge austauschen. Auf diese Weise sollen Fahrzeuge, die viel in den Kommunen unterwegs sind, sauberer werden – aber eben ohne dass man die Schritte ergreift, die weh tun.

Die Kanzlerin hat auf die Klage mit den Worten reagiert, man wolle den bisherigen Weg konsequent weitergehen.

Zum Beispiel könnte man ja auf die Idee kommen, tatsächlich Fahrverbote auszusprechen. Aber das will die Bundesregierung nicht. Man wird versuchen, mit Massnahmen wie der Erneuerung der bestehenden Flotte die Messwerte so weit abzusenken, dass am Ende nur noch wenige Städte übrig sind, die darüber liegen – in der Hoffnung, dass die EU auf grössere Strafen verzichtet.

Das Gespräch führte Marlen Oehler.

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