Die Südtiroler Skirennfahrer gehören zu den Dominatoren der Abfahrt. «Wenigstens kein Österreicher», denkt sich manch Schweizer Schlachtenbummler, wenn sie auch am Lauberhorn reüssieren. Schon bald könnte der ein oder andere Südtiroler aber für Österreich über den Hundschopf springen. Zumindest, wenn es nach der neuen österreichischen Regierungskoalition geht.
ÖVP und die rechtsnationale FPÖ haben vereinbart, dass Bürgerinnen und Bürger im Südtirol auch den österreichischen Pass erwerben können. Gemeint sind allerdings nur die deutsch- und ladinischsprachigen, nicht aber die italienischsprachigen Südtiroler.
Das deutschsprachige Südtirol war nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugesprochen worden. Seither träumen österreichische Nationalisten von einem wiedervereinten Tirol unter rot-weiss-roter Flagge.
Schon im Wahlkampf schlug FPÖ-Chef Hans-Christian Strache revisionistische Töne an:
Ich will die bestehende Wunde heilen und Tirol die Möglichkeit geben, sich wieder zu vereinen.
Vom Passus im Koalitionsvertrag sei «nichts Gutes» zu erwarten, urteilt Joe Schelbert, Österreich-Experte von SRF: «Es ist ein Tabubruch.» Und es sei breiter Widerstand zu erwarten: Von der EU, aber auch von Seiten der UNO, die den Südtirol-Vertrag vermittelte, schliesslich werde sich auch Italien vehement gegen die Pläne wehren.
Ich bezweifle, dass das dem ‹europäischen Geist› entspricht, der im Koalitionsvertrag so schön formuliert wird.
Aus Italien liegen bislang erst wenige Reaktionen vor. «Uneuropäische Musik» ertöne aus Wien, sagte der Staatssekretär des italienischen Aussenministeriums. Wie SRF-Italien-Korrespondent Franco Battel berichtet, gab es allerdings auch gelassene Reaktionen aus Rom.
Parlamentarier hätten darauf aufmerksam gemacht, dass die österreichische Rechte die «Südtiroler Bühne» immer schon bespielt hätte und dabei nur ans heimische Publikum denken würde.
Rückenwind für Südtiroler Separatisten
Aus dem Südtirol selbst sind unterschiedliche Reaktionen zu vernehmen. «Mein Horizont ist der europäische Pass», sagte Landeshauptmann Arno Kompatscher. Andere stellten sich auf den Standpunkt, dass die Zeit der Nationalisten vorbei sei. Allerdings sorgte die Ankündigung aus Wien auch für erfreute Reaktionen. Vor allem bei der «Süd-Tiroler Freiheit», die sich für eine Loslösung Südtirols von Italien einsetzt:
Für Südtirol öffnet sich dadurch ein historisches Fenster von unschätzbarem Wert.
Ein «zweifelhaftes Geschenk»
Der Südtiroler Politiker und Historiker Hans Heiss spricht sich gegenüber SRF News für die Autonomie, aber gegen die Abspaltung aus. Den Doppelpass hält er für ein «zweifelhaftes Geschenk» aus Wien:
Künftig würde es Südtiroler mit Doppelpass und solche ohne geben. Das würde viel Streit in die hiesige Gesellschaft bringen.
Österreich habe in all den Jahrzehnten seit Kriegsende vermieden, den Doppelpass anzubieten, erklärt der Grünen-Politiker: «Jetzt, wo die Freiheitlichen mitregieren, greifen sie Forderung auf.» Heiss warnt davor, dass sich ein «ganzer Rattenschwanz» an Problemen ergeben könnte – auch für Österreich selbst: «Auch andere Völker und Nationalitäten, die aus der Habsburger-Monarchie hervorgegangen sind, könnten die doppelte Staatsbürgerschaft einfordern, etwa Ungarn oder Tschechen.»
Südtirol – das nächste Katalonien?
Im Südtirol selbst würden noch ganz andere Streitfragen entstehen, warnt Heiss: Vom Wahlrecht über die Wehrpflicht in Österreich bis hin zur Frage, wer überhaupt für einen Doppelpass infrage komme, gebe es einen «Haufen ungelegte Eier».
Heiss befürchtet auch, dass der Doppelpass nationalistischen Kreisen im Südtirol Aufwind geben könnte: «Die Sezessionstendenz in Teilen der Gesellschaft würde wie in Katalonien verstärkt.»
Damit würde nicht nur ein Konflikt innerhalb von Italien heraufbeschworen, sondern auch innerhalb des Südtirols eine Spaltung herbeigeführt: «Und das halte ich für viel gravierender», schliesst Heiss.