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Ein Jahr Ursula von der Leyen Die grossen Versprechen der Ursula von der Leyen

Das erste Jahr von Ursula von der Leyen an der Spitze der EU-Kommission war von der Coronakrise geprägt. Eine Bilanz.

Die erste Frau an der Spitze der Europäischen Kommission rührt bereits zu Beginn ihrer Zeit in Brüssel mit der grossen Kelle an. Wer Ursula von der Leyen von ihrer Zeit in Deutschland her kannte, war darauf vorbereitet.

Die erprobte deutsche Ministerin wollte gleich zu Beginn zeigen, dass sie auch Präsidentin sein kann. Ihr Slogan «Eine Union, die mehr erreichen will» stand über Wochen auf einem riesigen Plakat beim Hauptsitz der Kommission in Brüssel.

Grosse Ankündigungen

Eine Union, die insbesondere in der Klimapolitik mehr erreichen will, konnte man alsbald feststellen. Europa soll mit dem «Green Deal» ab 2050 der erste klimaneutrale Kontinent sein, so die Ankündigung. Bereits im Frühling konnte die Kommission ein europäisches Klimagesetz auf den Weg bringen, das am EU-Gipfel im Dezember eine weitere Hürde nehmen muss.

In Bezug auf die Finanzierung oder Projekte für die Energiewende gibt es aber noch viele Unklarheiten. Auch steht die Frage im Raum, wie die Kommissionspräsidentin Mitgliedsstaaten wie Polen, die nach wie vor stark auf den Kohleabbau setzen, sowie die Landwirtschaft oder die Autoindustrie von dem «Green Deal» überzeugen kann.

Ursula von der Leyens erstes Jahr als Kommissionspräsidentin nur auf den «Green Deal» zu reduzieren, würde der grossen Ankündigungen der promovierten Ärztin aber nicht gerecht. Die EU soll auch bei der Digitalisierung ganz vorne dabei sein und auf der Weltbühne als geopolitische Macht ernst genommen werden. Solche grossen Ankündigungen seien typisch für die Politikerin Ursula von der Leyen, sagt der deutsche Journalist Daniel Goffart, der zusammen mit Ulrike Demmer eine Biografie über von der Leyen geschrieben hat.

Und dann kam die Pandemie

Es waren Szenen im Frühling dieses Jahres, die man so seit Jahrzehnten in Europa nicht mehr gesehen hat. Die Mitgliedsstaaten schliessen ihre Grenzen, der freie Personenverkehr kommt faktisch zum Erliegen und Schutzmaterial ist Mangelware. Ursula von der Leyen versucht zwar, die Koordination in der Coronakrise zu übernehmen, ist oft aber einen Schritt zu spät und wird in den EU-Staaten kaum gehört. Die Kompetenzen bezüglich der Grenzen und der Gesundheitspolitik liegen bei den Mitgliedsstaaten.

Anders sieht es aus, wenn es um die finanziellen Kompetenzen geht. Um die von Corona stark belasteten Staaten zu unterstützen, reagiert von der Leyen mit einem grossen Versprechen. Mit dem Recovery- resp. Wiederaufbau-Fonds sollen 750 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Die deutsche Spitzenpolitikerin ist auf die Unterstützung von Angela Merkel und Emmanuel Macron angewiesen.

Nach tagelangen Verhandlungen wird der Wiederaufbau-Fonds in abgeänderter Form von den Staats- und Regierungschefs bestätigt. Von der Leyen kann mit dem Fonds ihre Macht ausbauen, da die Kommission am Kapitalmarkt Anleihen herausgeben kann, um das benötigte Geld zu beschaffen.

Der Recovery-Fonds ist zwar kein Hilfspaket, das von der Leyen als alleinigen Erfolg verbuchen kann, aber ihre langjährige Erfahrung hat ihr geholfen, um dieses historische Hilfspaket auf den Weg zu bringen.

In trockenen Tüchern ist der Wiederaufbau-Fonds allerdings noch nicht. Die 750 Milliarden Euro sowie das langjährige Budget werden zurzeit von Ungarn und Polen blockiert. Die Kommissionspräsidentin steht abermals vor einem ungeeinten Europa, das gerade jetzt während der Pandemie zusammenhalten müsste.

Tagesschau, 30.11.20, 19:30 Uhr

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